Wir haben da eine Nachbarin. Also, wir haben mehrere, denn in unserem Haus wohnen 20 Parteien, denn wir genießen nicht den Luxus eines Einfamilienhauses mit Garten und Schnickschnack, auch wenn man sich als Mutter, die 3 Jahre zuhause bleibt, anhören muss, dass man ja Geld wie Heu haben muss.
Wie auch immer, die Nachbarin. Als Ben ein Baby war und wir frisch vom Krankenhaus heim kamen, lud sie uns auf einen Schnaps ein. (Und zwar diese Art Zwangseinladung, die man nicht abschlagen kann, auch wenn man wirklich nichts lieber täte, als nach Hause zu gehen!). Eine Karte zur Geburt hatte sie auch besorgt, den Namen sollten wir aber selbst eintragen, weil sie den nicht wusste oder ihre Augen zu trocken waren oder ihr Mann seit 20 Jahren tot ist, irgendwas in der Art jedenfalls, ich kann die Geschichten leider nicht mehr auseinanderhalten, weil sie diese immer und immer wieder erwähnt. Tut mir ja auch leid, und zu einsamen alten Menschen ist man freundlich, da hört man zu. Ich jedenfalls und mein Mann auch, denn wir sind nett und wollen es allen recht machen, was auch eher eine ziemlich anstrengende Angewohnheit sein kann. Wünschen würde ich es mir jedenfalls manchmal ein bisschen anders. Bei diesem Zwangsschnaps fragten wir übrigens auch, ob wir unseren Kinderwagen da abstellen können. Denn zu unserer Wohnung gibt es nochmal einige weitere Stufen, und so mussten wir mit dem, Wagen nur aus dem Aufzug heraus. Sie sagte: Kein Problem, aber die Frau G. nebenan, DIE beklagt sich bestimmt, und die Frau S., da ist die Tochter mal über eine Pflanze gefallen beim Licht anmachen und deswegen hat DIE bestimmt was dagegen. Für SIE sei das in Ordnung. Beide weiteren Nachbarn hatten kein Problem mit dem Kinderwagen (wie zu erwarten war!).
In der Zwischenzeit traf ich besagte Nachbarin vor der Tür, ein paar mal. Immer wieder durfte ich kleine Spitzen hören, die beliebteste war: “Und wieeeeder ohne Miiiieetzääää!!!” (Das soll Mütze heißen. Fragt Sie Menschen mit diesem Dialekt mal nach einer Tüte. Viel Spaß!). 12 Grad, Weg von Auto ins Haus. Ohne Mütze. 15 Grad, Kind riss sich im Auto die Mütze vom Kopf, keine Sekunde später quetscht sich die Nachbarin ans Fenster, wedelt tadelnd mit dem Zeigefinger. Wieder ohne Mütze. Dieser Spruch kam so oft, dass Mareike mir sogar einen Button mit dem Spruch “Schon wieder ohne Mütze!” bastelte. 25 Grad: jetzt habe ich es aber schon so oft gesagt, schon wieder ohne Mütze! Die Kinder frieren am Kopf! Die werden so schnell krank!!!!! Beeeeehhn, sag mal der Mama, sie ist eine Rabenmutter!!!
Ups? Da war ich dann schon etwas pikiert, eine Rabenmutter? Ich mag Raben und sie sind bestimmt tolle Eltern, sonst gäbe es nicht so viele Raben oder sie wären lange schon ausgestorben. Zumindest essne sie ihre Eltern nicht auf, und beschimpfen keine anderen Leute. Aber allgemeingültig ist das ja nicht, was man mit der Bezeichnung so meint. Und dass ich abnehmen sollte, sagte sie schon lange vor der Schwangerschaft mal zu mir. Ich habe aber jeweils nichts gesagt, denn: Alte, einsame Menschen. Sind wir mal nett, wir wollen ja keinen Streit unter den Nachbarn. Ja, wie gesagt, ich wünsche mir, manchmal ein bisschen weniger nett sein zu können. Aber es geht hier um Mützen und nicht um “nicht aus der Haus können”.
So. Die Jahre vergingen. Unser Kinderwagen stand munter vor sich hin. Und dann, Ben war knapp über 2, sagte die Nachbarin mal: Beeeeeehhhn, brauchst du überhaupt noch eine Kinderwagen? Deine Mama hat auch noch eine andere in ihre Auto, gell? Ben antwortete nicht und ich dachte mir schon, ich weiß genau wieso sie so blöde Sachen sagt… Sie will den Wagen weg haben (warum auch immer!). Aber sie hat ja Beeeeehhhhn gefragt und nicht mich, also sagte ich nichts.Sie beklagte sich auch über die Dekoration von Frau G. an der Tür, die überhaupt nicht jahreszeitengemäß sei und was das überhaupt für Leute seien, die im Sommer noch Frühlingsdeko hängen haben.
Dieses Jahr sah ich dann immer öfter, dass die Bremse am Wagen zu war. Damals hatten wir gesagt, wir lassen die Bremse offen, damit die Nachbarin S. supertoll an den Lichtschalter kommt und sich dabei nicht den Arm bricht. Diese Idee stammte von der Nachbarin, und die Bremse sollte sowieso offen bleiben, denn den Luftreifen schadet es, wenn sie bei längerem Stehen diesem Druck ausgeliefert sind. Zumindest steht das so in der Anleitung des Wagens, und wir wollen uns dem ja nicht widersetzen oder selbst schuld sein, wenn er kaputt geht. Nun wurden sie aber täglich (!) wieder zu gemacht und wir hatten keine Ahnung von wem (könnt ihr euch beim Lesen ja schon denken, ne?). Also schrieb ich einen netten (!) Zettel: “Bitte Bremsen offen lassen, die Reifen gehen sonst kaputt. Danke.”
2 Tage später flog die Tür der Nachbarin auf. Wütend. Schwungvoll. Sie deutete mit dem Kopf auf den Zettel. Sie habe “das da” gelesen. Sie habe das aber nur manchmal gemacht als ihre große Pflanze noch da stand. Aber die steht da ja nun nicht mehr und daher sei es egal. Ich sagte, Ich wusste nicht wer das macht, vielleicht sind es ja noch andere Leute, darum habe ich das geschrieben. Okay, sie sagte, sie mache es nun ja nicht mehr. Tür ging zu.
5 Tage später klingelte es an unserer Tür. Wir waren gerade auf dem Weg irgendwohin, es war Samstag Morgen. Nachbarin stand da und fing an, auf meinen Mann einzureden. Sie könne lesen, was wir denn glauben! Wir hätten doch einfach klingeln können, und sagen dass sie das nicht machen soll! Der Zettel wird sofort weggemacht! Sie hielt uns immer für intelligente Menschen, aber sowas müsse sie sich nicht gefallen lassen! Eine Woche würde das nun da stehen! Das sei eine Unverschämtheit etc pp. Letztendlich ging es ihr darum, dass sie sich von dem Zettel persönlich angegriffen fühlte, weil er auf ihre Wohnungstür “zeigte” (er war halt da festgemacht, wo die Bremse ist!). Alle Argumente meines Mannes (ich stand sprachlos in der Küche!) redete sie zunichte, verstand sie nicht (dass wir z.B. auch nicht wussten, wer es ist, dass es auch Hausfremde Menschen machen wie die Maler neulich oder der Aufzugsrepariermann und z.B. an der Eingangstür auch steht, man soll sie schließen, und das seit vielen Jahren, obwohl es doch alle gelesen haben und sich davon auch keiner angepisst fühlt.) … Bla. Der Zettel muss weg, und überhaupt. Sie habe sich viel gefallen lassen und nichts gesagt, als der Wagen von den Handwerkern (!!!) auf ihre Loggia geschoben wurde, und als sie Kartons (zusammengefaltet) mit unserem Namen in der ALTPAPIERTONNE fand, hat sie auch geschwiegen. (und eben sagte sie noch, sie könne lesen!). Und Päckchen habe sie doch auch IMMER angenommen, aber SOWAS jetzt bringe das Fass zum Überlaufen. Und dass wir jetzt weg müssen kommentierte sie nur mit einem süffisanten “jaja, sie müssen “weg”.” (Mann und Kind standen in Jacke da. Alles klar, ja?
Wir waren fassungs- und sprachlos. Entfernten den Zettel, um ihn den Eltern zu zeigen, die ihn auch kein bisschen anstößig fanden. Thema fast gegessen, ich wollte nochmal klingeln und klarstellen, dass ich diese Aktion unfassbar fand, ihr nie was Böses wollte und vor allem, dass Karton in die Altpapiertonne gehört und es sogar drauf steht! Aber dazu kam es nicht, vorher klingelte sie nämlich bei mir an der Tür. Sie habe nun Kehrwoche, der Zettel sei ja entfernt und darum alles wieder in Ordnung. Aber sie bittet uns höflich, den Wagen in den Keller zu räumen. Ich sagte, dass ich das nicht mache, denn da würde er gestohlen werden können, wo denn nun plötzlich das Problem sei! Da sagt sie doch wirklich, Ben sei doch nun schon viel zu groß & viel zu alt für den Wagen, und ich könne ihn auch in UNSEREN Keller stellen (der hat die Größe einer Hutschachtel). Ich sagte, dass ich gerade Kunden hier habe und das nun nicht ausdiskutiere, ich aber sowieso mal noch mit ihr sprechen möchte, weil ich diese Aktion mit dem Zettel so nicht beruhen lassen werde, nun aber weiter arbeiten werde. Stellt sie den Fuß in die Tür und mault weiter rum, vor meinen Kunden. Die anderen im Haus haben auch alle gesagt, sowas müsse sie sich nicht gefallen lassen! Ich hab sie dann nochmal gebeten zu gehen, so freundlich ich noch konnte (gar nicht mehr nämlich) und die Tür zugeknallt. Irgendwann ist auch bei mir mal gut.
So, und jetzt? Ich könnte es einfach abhaken unter dummen Menschen. Die Frau ist alt und hat zu viel Zeit zum Nachdenken und man müsste Mitleid haben, dass sie sich an solchen Kleinigkeiten derart stören muss. Sie hat selbst eine Tochter und wohl schon lange vergessen, wie das damals war. Auch das ist sehr tragisch. Ich könnte mir nicht weiter Gedanken machen und den dummen Kinderwagen wegstellen, worüber wir schon lange nachdachten, weil wir ihn kaum mehr benutzen, was unsere Nachbarin aber einen feuchten Keks angeht. Und dann? Dann stößt sie sich am nächsten auf. An unserem Weihnachtskranz an der Tür z.B., den ich mitterweile eigentlich ganz witzig finde. Außerdem sehe ich es auch nicht ein, ihr ihren Willen zu geben. Sie wird händereibend auf dem Sofa sitzen und denken, sie hat was großes vollbracht. Endlich.
Das Problem ist nur, dass mich sowas fertig macht. Nicht, weil ich schluchzend in der Ecke sitze, weil ich will, dass mich alle Leute lieb haben. Oder weil ich unseren Wagen nicht in den Keller stellen will. Nein, weil ich nicht verstehen und nachvollziehen kann, wie man sich an einem Kinderwagen stört. Oder an Fußball spielenden Kindern auf dem Rasen (wie eine andere Nachbarin im Haus). Weil ich mich frage, wie verbittert man sein muss, dass man glaubt, sein persönliches Glück hänge an einem Zettel, der von Luftreifen handelt. Oder an einem Kind, das sich über die Rasenfläche vor dem Haus freut. Und dass ich mich absolut missverstanden fühle. Wir es immer allen recht machen und ich so viel geschluckt habe, so viele “wieder ohne Mütze” – Sprüche lächelnd weggenickt habe oder mich höchstens mal bei Twitter drüber lustig gemacht habe. Wir ein schlechtes Gewissen haben, sonntags einen Nagel in die Wand zu hämmern und 300 mal am Tag sagen, Ben soll leise laufen, um die Nachbarn nicht zu verärgern. Weil wir immer freundlich waren und ertragen haben. Dafür, dass einem nun das Wort im Mund gedreht wird und einem mutwillige Boshaftigkeit unterstellt – und durchs Haus getratscht wird. Das sind Dinge, die mich wirklich richtig traurig machen.
Eine Babyforumsfreundin erzählte mir über Facebook übrigens danach, ihr Kinderwagen im Treppenhaus wird beschmissen und beschmutzt mit Müll, Kaugummi, Staubsaugerbeutel, drauf gerotzt (sorry) wird. Es scheint also kein einzelnes Phänomen zu sein, wie ekelhaft Menschen sein können, an einem Kinderwagen gemessen, der nun wirklich niemandem etwas tut. Was wollen sie damit erreichen? Was haben sie davon, wenn ein Kinderwagen dann plötzlich wo anders steht / weg ist? Sind sie dann glücklicher? Meine einzige Genugtuuung ist: Sind sie nicht. Werden sie auch nie sein. Er wird nun verschwinden und ich werde an alte Zeiten denken. Wie stolz ich war!
Wieso ich nun also einen Roman geschrieben habe über blöde Nachbarn, wie jeder sie kennt und schonmal erlebt hat? Weil ich wütend bin, stinkwütend, und das hier (mein) Platz dafür ist, zu erzählen, was man sich täglich so neben Kleinkind, Job und Leben so zu Gemüte führen muss, ganz einfach. Vielleicht sollte sie das direkt abbekommen, aber sie würde es nicht annähernd verstehen. Sie fühlt sich ja total im Recht. Nein, heute habe ich auch kein lustiges Ende, keinen locker-flockigen Spruch, dass bestimmt alles von weiter weg her lustiger wirkt, heute bin ich nur sauer. Auch auf mich, über meine ewige Freundlichkeit und Gutmütigkeit und dass sie wieder einmal genau gar nichts half, all diese Spitzen und Sprüche zu ertragen. Gar nichts, außer, dass sie noch ausgenutzt wird und es sowieso niemals allen recht gemacht werden kann. Und hoffen, dass ich nie, nie, niemals so ein ekliger, verbitterter, humorloser und rechtsdrehender Kauz werde.
Ich finde es unverschämt und kenne sowas leider auch. Ich wünsche mir sehr, nie verstehen zu können, warum man so ist.
Oh man 🙁 Hoffentlich konntest du mit dem Runterschreiben dieser Erlebnisse deinem Frust wenigstens ein bisschen Luft machen :/ Ich fühle da echt mit dir, weil wir auch eine ähnlich schwierige Situation mit den Nachbarn haben. Auf Dauer staut sich dann wirklich einiges an, wenn man ständig runterschlucken, wegnicken etc. muss bzw. will, weil man ja irgendwie doch miteinander auskommen muss. Besonders deine letzten Sätze sprechen mir da echt aus dem Herzen. Ich bin auch so oft sauer auf mich wegen meiner Freundlichkeit und Gutmütigkeit, die da auch noch ausgenutzt wird. Aber im Endeffekt bin auch ich lieber so, als rechthaberisch und unsympathisch… Ist auch auf jeden Fall ein besseres Vorbild für unsere Kinder 😉
Ich hab deinen Post mit Spannung gelesen, denn Ähnliches kenne ich aus meinem Mietshaus auch. Nun wünsche ich mir nichts sehnlicher als wegzuziehen, weit weg…
LG Anne
Das ist so unfassbar, und macht mich beim lesen alleine schon so wütend.
Ihr ihre “Missetaten” aufzuzählen bringt sicher leider nichts, da sie, wie du so schön schreibst, den ganzen Tag Zeit hat sich Gedanken zu machen,
Wenn ihr den Kinderwagen nicht mehr sooo oft braucht, ja dann kann er ja in den Keller, aber warte doch noch ein paar Tage 😉
Puuuh. Das ist ja mal echt heavy. Wie man sich an sowas so aufhängen kann, werde ich nie verstehen. Fürchterlich.
Aber ich weiß, was Du meinst und wie man sich mit sowas fühlt.
Ist es beginnende Demenz? Verbitterung? Einsamkeit? Ich weiß es nicht. Jedenfalls ist es traurig, dass das so “raus” gelassen werden muss…
Hier ist es die Oma vom Mann gewesen, die uns hat einiges sehen/hören lassen. Das war teilweise nicht mehr feierlich. Mittlerweile… nun ja. Sie hat Demenz und ist ein Pflegefall, bekommt nichts mehr mit.
Euch wünsche ich starke Nerven und taube Ohren! Nicht fertigmachen lassen! (())
LG,
die Alltagsheldin
So eine nachbarin hatte ich als kind. die hat sich über alles und jeden aufgeregt.
ich hatte mein rad immer im treppenhaus (was erlaubt und sogar eine extra “vorrichtung” dafür war abgestellt. Diese nette dame hat sich dann immer die mühe gemacht mein abgesperrtes (!!) fahrrad auf den parkplatz raus zu TRAGEN wo es auch irgendwann mal gestohlen wurde und ich kein Fahrrad mehr hatte. Die besagte dame wollte aber nichts damit zu tun haben. Als kind war ich dann so mutig und hab ihr einfach einen Blumentopf den sie gehegt und gepflegt hat gemopst habe. jaja, würde ich mittlerweile wohl nicht mehr machen. geholfen hat es nichts und der besen der damals schon gefühlte 100 jahre alt war lebt dort noch immer und liegt womöglich anderen leuten mit ihren sorgen in den ohren.
fazit, euch ganz viel kraft und nimm dir das alles nicht so zu herzen. Viele können einfach nicht anders, warum auch immer. traurig sowas!
Das klingt alles ein wenig mhhh nein ich frage anders. Wie alt ist die Nachbarin? Einsehen null vorhanden? Obwohl logisch erklärt? Einen Tag ist es ok, ein anderes mal kramt sie die Geschichte vor und schimpft obwohl es geklärt war?
Es könnte sein, dass da eine Spur Demenz mit drinhängt. Beim Lesen drängte sich mir der Gedanke auf. Da kannst dann Diskutieren und Erklären wie Du willst, es wird nichts ändern. Wenn es so ist, ist es nicht Deine Schuld, da hast dann einfach keine Chance.