1985 erschien ein Lied. Das lief im Radio immer wieder mal wieder, und klein Michelle war gerade mal 2 Jahre alt. Ich erinnere mich, dass ich bei meinen Großeltern war, immer wenn das Lied kam. Einmal im Esszimmer, das damals noch ganz hell erleuchtet und immer voller Leben war, wenn ich dort gewesen bin, um mich herum war immer Trubel und meine Oma kochte, und ich spielte munter vor mich hin. Und einmal lief das Lied im Wohnmobil auf einer Kurzreise. Da kam das Lied im Radio während mein Opa gerade tankte und mir das Radio anließ. Ich bin schier ausgeflippt weil ich das Lied so mochte, aber konnte leider den Knopf am Radio nicht finden, der das Lied dann nochmal spielte. Und so richtig sagen konnte ich auch keinem, wie das Lied heißt, nur ein kleines bisschen mitsingen. Und so ist es ganz bald in Vergessenheit geraten. Lange, lange Zeit, denn wer erinnert sich schon an Lieder, die man als Kind mal mochte oder so, naja, da gibt es doch wichtigeres, neue Lieder, Kinderlieder die man dann mitsingen konnte oder der Kindergarten und das Wachsen und all das – und so wichtig war das Lied ja auch nie. Es hängt nur die Erinnerung an das Esszimmer, das heute etwas düsterer und ruhiger ist und nicht mehr so nach Putzmittel und Rinderbraten riecht, sondern staubig und alt wirkt, und an das Wohnmobil, das längst auf irgendeinem Schrottplatz vor sich hin rostet, daran.
Vor einigen Jahren fiel mir dann anhand eines anderen Liedes wieder eine Textzeile ein, als ich mit meiner besten Freundin mal über alte Zeiten und Die Musik unserer Kindheit sprach. Da gab es zum Beispiel “Joana give me hope”, bei dem ich als Kind immer “Joana heb mich hoch – bevor die Moni kommt” verstand, da war ich vielleicht 4 oder 5, und die ganze Familie rief mich immer zum mitsingen und lag dann lachend auf dem Boden, was ich ganz und gar nicht verstehen konnte. Einmal wurde ich sogar abends aus dem Bett geholt, als Besuch da war, und durfte mit Decke in der Hand zu dem Lied im Radio mitsingen. Und dann war da noch ein Lied, da kam wahrscheinlich immer “on and on […] back to me” drin vor, und ich sang immer fröhlich “ohne Bohn… Melanie” mit. Ja, ich hab mich auch ein wenig gewundert, aber ansich mochte ich das doch unheimlich gern, das Bohnenlied. Leider kann ich heute so gar nicht mehr herausfinden, wie das heißt. Vielleicht stolpere ich mal wieder drüber. Ich meine, es müsste heißen “on and on, kissing you for memory (???) … wishing you come back to me” oder sowas. Vielleicht war es auch Whitney Houston oder so. Na ganz egal. Mir fiel bei meiner Freundin damals, vor 7 oder 8 Jahren, eine Textzeile ein. Ein Hoch auf Google, ich fand mein altes Lied, von dem irgendwie keiner so recht wusste, dass ich es so mochte.
Was ich aber eigentlich sagen wollte, ehe die Erinnerung an die Marmorwendeltreppe meiner Großeltern, auf der es sich so super spielen ließ, mit mir durchging: Gerade eben lief doch tatsächlich in meiner “ich hör mal wieder alles durch was ich so habe und sortiere mal mein Archiv aus” – Playlist “Stimmen im Wind” von Juliane Werding, was seit meinem Fund damals sein Dasein auf meinen Festplatten fristete. Und plötzlich lief es hier zwischen Kundenfotos brennen und Legosteine aufsammeln – und promt saß ich plötzlich wieder im hellen Esszimmer der Großeltern und meine Oma kann noch laufen und fährt einen roten Golf mit einem “ein Herz für Kinder” Aufkleber auf der Heckscheibe, den ich immer besonders schick fand, und kurz danach saß ich im braun-beigefarben eingerichteten Wohnmobil, wo ich mich nach einer langen Fahrt in die Berge dann abends mit meiner hellblauen Spieluhr (den Text ihres Liedes fand ich ja als Kind sehr beängstigend, aber das ist ein anderes Thema!) ins Bett kuschelte. Ein bisschen kommt es mir vor, als sei ich selbst ein Geist, der dann in der Vergangenheit ist und sich selbst sieht. Klingt total abgedreht, keine Sorge, ich sag ja auch nur “ein bisschen”.
Ist es nicht seltsam, an was man sich – und anhand von was man sich erinnert? Ich habe vor einiger Zeit schonmal aufgeschrieben, dass ich das Gefühl habe, dass mein Erinnerungsvermögens ziemlich viel Platz im Hirn einnimmt. Manchmal weiß ich nicht, wieso ich gerade in die Küche lief (okay, das kennt wohl jeder), aber wo ich saß, als Tschernobyl war, und wie mich meine Mutter panisch ins Haus geholt hat, oder wie mein Laufstallpolster aussah und meine Krabbeldecke, das weiß ich noch haargenau. Und davon gibt es nichtmal Fotos. Oder Erzählungen. Auch wenn viele sagen, Quatsch, das geht gar nicht dass du dich erinnerst. Ich kanns.
Auf jeden Fall musste ich bei der Erinnerung in dem Lied daran denken, ob es meinem Sohn wohl mal genauso gehen wird, und ob das, was heute passiert, wie sein Umfeld aussieht und was wir zusammen erleben, auch ganz klar in seiner Erinnerung sein wird. Und ob er dann vielleicht auch solche Lieder hat, die ihn zurückversetzen in die Zeit heute. Okay, Jimmy eat world – lucky denver mint mag er ziemlich gerne und summt er er immer fleißig mit, aber wer weiß das schon, ob es nicht andere Dinge sind, an die er sich erinnern wird. Ich hoffe, es sind schöne Dinge, vielleicht sind sie genauso unwichtig wie die Krabbeldeckenmuster oder Puffreistassen aus meiner Erinnerung, aber dennoch mit einem Gefühl verbunden, dass diese Zeit ganz wunderbar schön war.
Das sollten wir uns so oft ins Gedächtnis rufen, gerade, wenn wir genervt sind oder gestresst und irgendwas zu Bruch ging, was vielleicht ganz wichtig war: Unsere Kinder erinnern sich als Erwachsene vielleicht nicht mehr an Gespräche aus ihrer Kindheit, wohl aber an so viele Gefühle, ans mulmig – sein, wenn man was angestellt hat, aber auch an die Freude und hoffentlich am allermeisten, dass sie unbekümmert Kinder sein konnten und das ohne Angst und Unbehagen, damals. Heute.
So. Tränchen aus den Augenwinkeln wischen.
Was für eine schöne Geschichte 😀
Deinem Ben wird es sicher auch mal so gehen, nur mit einem anderen Lied. Oder vielleicht Geruch, Geschmack, etc.
Jeder hat solche Geschichten 😉
Mir wurde immer erzählt, dass ich bei dem Lied “Coco Jambo” “Coco Shampoo” gesungen habe, da war ich vielleicht zwei. Und das nicht nur, wenn das Lied im Radio kam, sondern auch in der Badewanne, wenn ich den Kopf einshampooniert hatte. Irgendwann waren wir bei Oma und ich saß vor der Waschmaschine in der Küche, hab den Schaum gesehen und das Lied gesungen, während ich imaginäres Shampoo in meine Haare massiert habe 😀