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Kamikazefliege

Working Weihnachtsmum sagt nein zu glitzrigen Kundenwünschen!

21/12

Als ich noch im sozialen Bereich gearbeitet habe, haben oft Menschen gefragt: “Wieso musst du Weihnachten* (*nachts/feiertags/wochenends) arbeiten?” Meist habe ich dann etwas in der Art geantwortet: “Weil die Menschen, mit denen ich arbeite, auch am Wochende Hilfe brauchen.” Oder: “Weil diese Kinder auch wochenends nicht damit aufhören, behindert zu sein.” Das klingt vielleicht ein bisschen makaber, aber das ist auch eine Art Humor, den man sich in diesem Bereich früher oder später zulegen konnte.

Ich dachte damals, klar, wenn man nicht aus dem Bereich kommt, in dem Menschen Hilfe brauchen, mein Beruf heißt, auch mal Sonntag morgens um 7 jemanden in eine Klinik zu fahren weil es ihm gerade schlecht geht, oder dass schwerstbehinderte Kinder eben auch am Wochenende wie an jedem Tag Hilfe brauchen, dann kann man sich das nur schlecht vorstellen. Für viele heißt arbeiten ja montags bis freitags, schlimmstenfalls sonntags. Ich dachte oft auf dem Weg zur Arbeit oder zurück an Radiomoderatoren, Ärzte, Tankstellenangestellte, Piloten, Krankenschwestern, Krankenhausküchenmitarbeiter, Schichtarbeiter an irgendwelchen Fließbändern, etc, pp, und dass das ja nun gar nicht mal soooo seltene oder gar irrelevante Berufe sind. Es war immer ein beruhigendes Gefühl, nicht ganz alleine am Sonntag Morgen um 6 auf dem Weg zur Arbeit zu sein. Aber doch stieß man immer wieder auf staunende Gesichter, wenn man eben auf Geburtstagen nicht sein konnte, weil man eben Schichten nicht tauschen konnte.

Ja, das war damals, zuletzt dann 3,5 Jahre her. In meiner letzten Anstellung hatte ich nicht mehr so häufig Wochenenddienste, aber im Laufe meines Berufslebens war das eben ganz normal geworden. Mittlerweile stehe ich ja auf eigenen Beinen, und dann denkt man ja immer automatisch: “Voll toll, die kann sich ihre Zeit selbst einteilen!” Ja, ich selbst habe so auch lange gedacht, wenn ich hörte, jemand sei selbsändig. Theoretisch kann ich das. praktisch arbeite ich gut und gerne mal wesentlich mehr, als ich das zuvor mit einer 40 Stunden Woche getan habe. Okay, ich bin ja gerade auch am Aufbauen, am Einrichten, am Zurechtfinden, und in 8 Tagen (ACHT!) bekomme ich den Schlüssel für mein kleines Atelier. Etwas, von dem ich vor einem Jahr noch nicht mal im Traum dran denken wollte. Da war ich nämlich ganz schön unsicher, was 2015 bringen würde. Zurück in meinen Job? Mich trauen und es ausprobieren? Auf die Nase fallen? Tja, und nun stehe ich hier, überweise Kautionen, habe Betriebsinhaltsversicherungen (von deren Existenz ich vor einigen Tagen nicht mal wusste), statt beim Filme schauen am Abend die Füße hoch zu legen streiche ich Rechnungsbeträge auf Quittungen an, und statt Familiensonntage zu verbringen sitze ich am Rechner und erstelle Last-Minute-Fotobücher für Kunden (die ausnahmsweise, gaaaanz dringend noch vor Weihnachten fertig werden müssen!). Also irgendwie auch nicht mehr vom Wochenende als mit Festanstellung.

Dieses Jahr habe ich sogar so viel gearbeitet, dass ich in einer Hebammenpraxis Bilder auf Dankeskarten hängen sah und erschrocken bin. Da hat jemand ganz genau meine Körbchen! Haargenau Meine Deckchen! Arbeitet genauso mit Gegenlicht! Die selbe Farbgebung und Bearbeitungsstil! Ein bisschen weicher als meine Bilder, sehr schönes Licht… dann macht die oder der das auch noch ein bisschen besser! Ohne dass ich weiß, welcher Kollege das ist… unglaublich! Eine Woche lang hatte ich ein bisschen Bauchweh und war traurig, hab mich um mein Alleinstellungsmerkmal gesorgt, bis ich letztendlich zufällig raus bekam, dass… ja, die Bilder waren von mir. Ich selbst war die Kollegin, die ein Tick besser war als ich selbst. Ich habe tatsächlich vergessen, dass ich diese Bilder selbst gemacht hatte. Okay, und ich war ein bisschen stolz, dass mir meine eigenen Bilder besser gefielen als meine eigenen. Ähhh….. Vielleicht sollte ich doch mal mehr als 10 Tage frei nehmen 😉 Aber ich bemerkte: Es ist nicht mehr ein kleiner Nebenberuf. ich mache das täglich, es ist Routine und ich behalte (leider) auch nicht mehr jeden Arbeitstag in perfekter Erinnerung.

Ich will mich auch keinesfalls beklagen, ich habe diesen Weg gewählt, nicht ohne zu wissen, worauf ich mich einlasse. Ich wusste, dass ich mehr arbeiten werde als zuvor, dass ich anders arbeiten werde, dass ich mich auch sehr wenig zurücknehmen will, und wenn ich meinen Ruf und namen behalten will, das nicht funktioniert, wenn ich mich nicht aktiv darum bemühe.

Dass ich selbst lernen sollte, könnte, müsste, Grenzen zu setzen und Ruhezeiten einzuplanen, ist das eine, aber heute möchte ich Euch auch mal aus Dienstleistersicht erzählen, wie das so läuft. Wie gesagt, die Wochenenden arbeite ich genauso, wenn Dinge fertig werden müssen. Und Dinge müssen immer fertig werden. Ich lasse Kunden ungern warten, auch wenn ich KÖNNTE, denn theoretisch kann ich mir meine Zeit ja einteilen… Aber auch wenn ich zu Kunden sage, die Bilder brauchen ca. 4 Wochen – wer wartet schon gerne 4 Wochen? Oder wenn ich weiß, dass ich ein paar Tage nicht arbeiten werde, weil Weihnachten der Familie gehört, dann muss ich die Arbeit eben “vorholen” statt “liegenlassen”. Ich möchte zufriedene Kunden haben, und die hätte ich nicht, wenn ich sage: “Aber da mach ich erstmal frei, also wartet mal schön 4 Wochen auf die Bilder.” … Das funktioniert für mich (!) einfach nicht. Ich kann dann auch nicht ruhig schlafen, oder in Ruhe auf dem Sofa nichts tun, wenn ich weiß: Da wartet noch Arbeit! In 3 Tagen ist Weihnachten, und ich habe noch einige Babys in “Warteschleife”, die nun Entbindungstermin haben. So genau kann man das ja nie voraussagen, darum lege ich mir einfach nur eine begrenzte Anzahl errechneter Termine in den Kalender, damit sich nicht alles überschneidet. Wobei es das sowieso macht – im Oktober zum Beispiel kamen in einer Woche gleich 7 Babys, die allesamt von 7 Wochen zu früh bis 14 Tage zu spät kamen, aber eben dennoch in der selben Woche 😉 Als hätten sie sich abgesprochen. Wie dem auch sei, aus dem Grund bitte ich Eltern mehrfach und ausdrücklich, bei Interesse bereits in der Schwangerschaft ungefähre (!) Termine mit mir zu besprechen, damit ich einfach planen kann. Sicher kommt es immer mal wieder vor, dass dann spontan noch gefragt wird, ob ich das eine oder andere Neugeborene nicht noch dazu nehmen könnte, wenn die Eltern erst im Krankenhaus vom Bettnachbarn oder Hebammen von mir erfahren und so weiter. Das ist jedenfalls eine Arbeit, die sehr wenig weit im Voraus plan- bzw. terminierbar ist, aber das ist in Ordnung. Meist sind die frischen Eltern sehr flexibel. Und ich hab mich auch dran gewöhnt.

So, nun steht Weihnachten an, und schon im November war ich für Weihnachtsfotos von Familien und Kindern ausgebucht. Das heißt, dass ich Termine vergeben habe – so viele wie zu bewältigen waren – mit der Garantie, dass die Bilder vor Weihnachten beim Kunden sein können. Stressfrei, mit Zeitpuffer für Post- oder Laborlieferverzögerungen (alle Jahre wieder!). Dennoch war das genug Stress, und ich habe es gerade so geschafft, die Aufträge ordentlich und gut auszuliefern. Ich selbst habe es am 19.12. zum ersten Mal auf den Weihnachtsmarkt geschafft, und das auch nur weil er bis 22 Uhr geöffnet hatte… In der Stadt ist die Warteschlange vom Parkhaus länger wie eine Langstreckenflugzeuglandebahn, vor der Post wartet man 18 Minuten auf einen Parkplatz, fürs Fahrrad sind wir allerdings allesamt zu krank, denn Zeit zu genesen hatten wir alle drei noch nicht so richtig seit November, auf dem Weihnachtsmarkt werden Kinder in vorweihnachtlicher Panik zur Seite geschubst weil man plötzlich merkt: “Weihnachten! Es ist ja bald Weihnachten! Mir bleibt keine Zeit mehr für… ja, für was eigentlich… egal, hauptsache Drängeln, stänkern, seufzen!”  Also, wie gesagt, ich habe die letzten Aufträge vor Weihnachten abgeschlossen, verpackt, verschickt, gebrannt, entwickelt, übergeben, Rechnungen geschrieben und Steuer sortiert, damit diese Sache mit dem “besinnlichen” vielleicht doch mal langsam loslegen kann. So ein Fotoshooting dauert in der Regel 2-3 Wochen, bis die Bilder gesichtet, sortiert sind, online zur Auswahl bereit stehen, dann ausgesucht werden, retuschiert werden, entwickelt sind und letztendlich gebrannt, verpackt und übergeben (oder verschickt) werden können. So. Social media ist auch nicht zu verachten,also plant mn auf Facebook noch ein paar Bilder zur Veröffentlichung ein, denn man will ja nicht, dass sich die Seitenfans zu Tode langweilen und abspringen, weil sie das gefühl haben, man kümmert sich nicht mehr um die Seite… All diese Vorarbeit habe ich geleistet, damit ich 10 Tage lang offiziell mal frei machen kann, Wochenenden und Feiertage schon mit ein gerechnet, die ja hierzulande wie oben schon gesagt meist als frei vorausgesetzt werden. Naja, meist, dazu unten mehr. Frei machen kann ich nur ohne Arbeit im Nacken oder unruhig Däumchendrehende Kunden in meinen Gedanken. “Offiziell frei” beinhaltet aber nicht die Neugeborenen, die da irgendwann in der Zeit noch geboren werden und deren Bilder ich fest zugesagt habe. “Offiziell frei” beinhaltet auch das Einrichten meines Fotoateliers, was ja sicher auch an einem halben Tag erledigt sein wird (NICHT!). Aber es ist nun mal Zeit, die ich nicht an Aufträgen arbeiten kann, ob vor Ort oder am PC.

Nichtsdestotrotz sammeln sich in diesen letzten Vorweihnachtstagen die Emails und Anrufe an – und das lustigerweise ganz paradox: Je näher an Weihnachten, sollte man ja meinen, ist dann jedem mal eingefallen, was er so schenken will. Aber nein! Je näher Weihnachten rückt, desto mehr flattern mir diese Anfragen ins Haus: “Wir bräuchten noch dringend Weihnachtsfotos! Jetzt! Können Sie uns nicht dazwischen schieben?” … oder: “Wir hatten vor 3 Monaten unser Fotoshooting, und noch keine Bilder ausgewählt. Jetzt brauchen wir die aber dringend bis morgen.” … “Unser Kind kam gestern, wir sind uns sicher, Sie finden noch einen Termin für uns, es sind ja schließlich nun Feiertage an denen Sie bestimmt sowieso nicht so viele Kunden haben!” … “Wir bekommen Weihnachten Besuch, den wir selten sehen. Können Sie Heiligabend um 14 Uhr ein Foto machen, eins reicht auch völlig, es soll ja auch nicht teuer sein, und das dann sofort bearbeiten und ausdrucken? Nur eins, damit es nicht viel kostet!” … (Leute ich schwöre! Diese Mail habe ich tatsächlich bekommen!)

Es tut mir sehr leid und ich schicke Kunden auch nur äußerst ungern weg… Aber nein, das ist leider wirklich nicht möglich. Es ist so schade, dass Kunden denken, das bisschen Knipsen ist doch in 2 Minuten erledigt. Und die Bilder könne man dann sowieso im dm kurz ausdrucken… Da blutet mein Herz dann ja sowieso. Eine Kollegin schrieb mal, wer einen Mercedes an Fotos kauft, der geht doch auch nicht zum Ölwechsel zu ALDI, oder?

ich freue mich, dass mir die Kunden die Bude einrennen! Das ist toll, das bestätigt mich darin, das richtige entschieden zu haben, und dass 2016 ganz toll werden wird! Ich freue mich auf tolle neue Kunden, Begegnungen mit Stammkunden und Wiederholungstätern, auf mein Atelier und noch mehr Arbeit! Auf die ersten Babys der 2015-er Hochzeiten, auf 2015-er Brautpaare, die ich auf Hochzeiten wieder treffen werde, weil sie dann auf einmal Gäste sind, ich freue mich auf jede Anfrage und jede Empfehlung.

Aber das sind nicht diese, meine, Kunden, die kurz vor Weihnachten anrufen oder schreiben. Das sind die, die alle Kollegen durchtelefonieren, unabhängig von Empfehlung, Stil, Geschmack oder Interesse. Es geht einfach nur ums gewünschte Endprodukt, und das kenne ich von “meinen” Kunden nunmal nicht. Neben meiner Verwunderung macht es mich ja auch ein ganz kleines bisschen traurig, weil es meine (und die der Kollegen!) Arbeit geringschätzt. Die Dreistigkeit in Tonfall und Wortlaut der Mails lassen einen dann schon stutzen. Als sei es etwas, das man nebenbei mal kurz machen könnte – als sei ich ein dressiertes Fotografenäffchen, das für Kunden jederzeit einzuspringen hat, wie ein Taxifahrer oder Dienstmädchen. Harry, hol’ schon mal den Wagen! Michelle, mach kurz ein Bild! Dabei bin ich doch immer sehr zuvorkommend und versuche, es allen so sehr recht zu machen, wie das nur irgendwie geht. Aber leider, leider kann ich nicht zaubern, und zum Glück habe ich selbst Familie, mit der ich gerne Zeit verbringe (gerne mehr zeit verbringen würde!) und bin nicht auf 10 € für einen 2 Stunden – Einsatz angewiesen (denn wenn ich den Spontanen dann meine Preisliste nenne, hat es sich meist sowieso ganz schnell erledigt.). Meist sind das auch noch Kunden, die am Ende nicht zufrieden sind. Das ist nicht geraten, das ist leider die Erfahrung der letzten Monate. Die, für die man sich mit 39Grad Fieber in den Wald stellt und sich nichts anmerken lässt, das sind die, die plötzlich doch ganz andere Dinge wollten als abgesprochen. Zum Beispiel keine Fotos mit Bäumen im Hintergrund. Kein Scherz!

Ich wundere mich, denn auf so eine Idee käme ich gar nicht. Oder ruft ihr beim Frisör an “Hallo, können Sie mir nicht kurz eine Frisur machen? Egal was für eine, nur 10 Minuten weil ich will auch nicht so viel zahlen, aber ich kann eben nur Heiligabend um 16 Uhr. Aber da haben Sie sonst doch sowieso keine anderen Kunden, also müsste das schon klappen, oder?”

Plant Eure Familienfotos in Ruhe. Führt sie in Ruhe aus. Bestellt sie in Ruhe. Ihr könnt auch Sommer- oder Herbstfotos Weihnachten verschenken. Das findet niemand verkehrt. Fotografen wie ich schon gar nicht! “Zeitlos” heißt das dann. Auf Weihnachtsgeschenken muss niemand eine rote Zipfelmütze tragen. Das sieht doch sonst sowieso komisch aus, wenn das Bild Ostern noch auf der Kommode steht, oder? Dann lieber neutral, in Ruhe, auf beiden Seiten, ohne Stress auf beiden Seiten. Genauso wie Anspannung, Stress und Zeitdruck wird man auch Gelassenheit den Bildern auch ansehen… Garantiert!

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Filed Under: Arbeit mit Kind

Na dann, prost.

17/11

Ben weint. Es ist mitten in der Nacht, und er klagt über Wachstumsschmerzen. Die hatte ich auch als Kind. Aus unserer Kindheit kennen wir noch Franzbranntwein. Hat mir immer super geholfen, einmal gabs sogar eine Flasche für mich zu Ostern (ja, auch Rentnergeschenke erfreuten mich schon im Alter von 11 oder 12 Jahren.) Na, jedenfalls, das Kind krakeelt, die Beine, die Beine! Kurz nachgeschlagen (kann man dem zarten Kindchen überhaupt schon Alkohol auf die Beine schmieren? Oder kommt dann die Rabenelternpolizei? – Man darf.), die Flasche Franzbranntwein vom Schrank geholt, dem Kindchen die Beine eingeschmiert, zugedeckt, Licht aus, Gute Nacht!

Der nächste Morgen: “Du Papa? Letzte Nacht taten mir sehr die Beine weh! Dann hast du die große Weinflasche geholt und dann war es wieder gut.”

Ja. Man kann nur hoffen, dass die Erzieherinnen im Kindergarten viel, sehr viel gewohnt sind und nicht immer unbedingt ganz so gut hinhören….

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Filed Under: Kindermund

Fahrradfahren verlernt man nicht.

17/08

 

Wir Erwachsenen probieren gerne aus. Wir schauen, ob uns Wein schmeckt und greifen notfalls wieder auf Wasser zurück. Wir riechen, ob die Milch sauer ist und schütten sie weg. Wir fahren ein Auto Probe und kaufen es dann doch nicht, wir probieren Kleider an und lassen sie dann doch im Laden. Wir machen Praktika und Schnupperstunden und gehen in die Yogaschnupperstunde und finden dann, es macht uns doch keinen Spaß. Wir besichtigen Wohnungen und kaufen dann doch ein Haus, wir machen Nähkurse und weil es uns zu kompliziert ist, lassen wir die Nähmaschine dann doch im Keller verstauben. Wir machen eine Ausbildung und arbeiten dann doch als etwas anderes. Wir sind es nicht mehr gewöhnt, Dinge dazuzulernen und dann wie selbstverständlich täglich wieder zu machen, wir “schauen erstmal” oder “warten ab, wie es sich entwickelt”. Wir lernen nichts offensichtliches mehr dazu – und darum erstaunen uns die Kinder immer wieder so sehr.

Bei Kindern ist das anders. Wenn sie etwas ausprobiert haben, dann können sie es. Wenn sie etwas grundlegendes neues gelernt haben, dann wird das übernommen und sie machen keine Rückschritte. Und wir Eltern kommen manchmal kaum hinterher mit dem begreifen, dass unsere Kinder nun einen neuen Schritt getan haben und dieser kein “ausprobieren” war, sondern unsere Kinder unwiederruflich größer, älter und selbständiger gemacht hat. Wenn das Kind plötzlich krabbeln kann, wird es sich kaum entscheiden, das doch nicht so super zu finden. Wir Eltern denken uns aber, lassen wir lieber mal die Spieldecke noch ein bisschen da, zum drauflegen, man weiß ja nie. Und die Kinder krabbeln davon. Wenn wir abgestillt haben, und das Kind am Tisch mit isst, denken wir uns “lassen wir lieber das Stillkissen mal noch ein bisschen da. man weiß ja nie.”. Wenn man plötzlich in seiner Handtasche Wechselklamotten und kleine Plastiktüten findet, denkt man sich “lassen wir lieber den Wickeltisch noch ein bisschen da. Man weiß ja nie.” Und die Baby-Newsletter bestellen wir auch nicht ab, weil ab und an gucken ist doch auch schön, vielleicht findet man ja doch noch etwas, was man brauchen könnte…

Und in Wirklichkeit ist es doch nur, weil wir so schnell überhaupt nicht hinterherkommen, wie sich unsere Kinder entwickeln, größer werden, lernen und wachsen. Neben dem Stolz bleibt nämlich immer ein bisschen Wehmut, weil alles so schnell ging und gehen wird, und man die Zeit eigentlich überhaupt nicht festhalten kann, so viele Fotos, Videos und Aufzeichnungen man auch unternimmt…

 

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Filed Under: Alltag, Hach, huch? ben, Leben mit Kleinkind

Kindergartenfotografie – oder “spektakulär-zauberhafte high-end-fine-art-Dumpingpreisfotos mit glitzerndem Einhornstaub, die alle glücklich machen sollen”

16/07

Mein Sohn kommt erst im September in den Kindergarten. Für mich steht jetzt schon fest: Ich werde sicherlich niemals Kindergartenfotos da anbieten, wo mein Sohn täglich hin geht. Und auch so: Ich werde wohl keine Kindergartenfotos mehr anbieten. Wie es dazu kam und was ihr Eltern von Kindergartenfotografen wissen solltet, wie die andere Seite aussieht und wie es mir erging, habe ich Euch hier aufgeschrieben.

 Mein erstes Mal als Kindergartenfotografin

Wie ihr vielleicht wisst, bin ich seit 2008 nebenberuflich als Fotografin selbständig. Nun in der Elternzeit konzentrierte ich mich nur noch auf die Fotografie und wage ab September den Schritt in die komplette Selbständigkeit als Fotografin. Ich fotografiere Babys, Kinder, Familien, Schwangere, Hochzeiten und alles, was da vielleicht nicht ganz hineinpasst. Ich freue mich über neue Ideen und schrecke auch vor neuen Herausforderungen selten zurück.

Es gibt also für alles ein erstes Mal. Eine Kundin trat an mich heran, ob ich nicht auch Kindergartenfotografie anbieten würde. Ich überlegte, kalkulierte, erstellte ein Angebot und dachte. Klar, wer Kinder mag, muss Kindergärten lieben, also, los geht’s! Ich setzte mich unter Mitbewerbern durch – und freute mich. Natürliche Kindergartenfotografie bot ich an, ich wies auf meinen Stil hin und der Elternbeirat mochte mich. Mit viel Liebe zum Detail plante ich das Fotografieren im Kindergarten, erstellte mit meinem Mann zusammen nächtelang geeignete Mappen, verglich USB – Sticks und Preise, druckte Infoblätter, schrieb Texte für Beileger und Briefe an die Eltern, schaute mir zuvor die hübsche Wiese hinterm Kindergarten mit dem Kirschbäumchen an, und platzierte in Gedanken schon die Kinder auf dem hohen Gras. Ich wollte es richtig machen, und richtig schön.

 

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Akzeptiere die Gegebenheiten – und stecke noch mehr Liebe ins Detail

Als ich dann zum Termin kam, fand ich statt der saftigen hohen Wiese leider ein abgemähtes Stoppelfeld vor und ich war sehr froh, im Auto noch meinen kleinen Kinderstuhl sowie mein Kinder-Zelt zu haben, womit ich aus der braunen Wieso noch irgendwas machen konnte. Natürlich hin oder her – das hätte einfach nur trostlos ausgesehen, finde ich. Das Fotografieren war wie erwartet anstrengend, weil warm, aber  es machte Spaß, all die netten Kinder, kaum eines, das sich schwer tat oder nicht nach ein bisschen erzählen warm wurde. Es lief soweit reibungslos. Hier und da wollte mal ein Kind nicht lächeln, aber mit ein paar gezielten Fragen war das meist auch okay. Ein Kind länger zu “quälen” wollte ich aber auch nicht, und ich selbst will auch nicht auf Kommando lachen. Manche Erzieherinnen wollten sich schließlich auch nicht fotografieren lassen. Dann muss das von Kindern auch nicht erwarten. Ich verbrachte Abende mit dem Bearbeiten, Bestellen, Sortieren der Kinder in die Mappen, mit dem Zuordnen von Gesichtern zu Gruppenbildern, steckte wie immer (zu viel!) Liebe ins Detail, bis ich die Bilder dann stolz im Kindergarten abgab. Die Erzieher pickten zunächst ihre eigenen Fotos heraus und sagten dann, sie schauen später durch bzw sagen dann in den nächsten Tagen den Eltern Bescheid. Was sie von den Fotos hielten, sagte man mir leider nicht.

Erstes Feedback und Kindergarten-Flurfunk

Ich hatte später Anrufe und Nachrichten und Bestellungen für USB Sticks von sehr lieben Mamas, die begeistert von den Bildern waren. Darüber habe ich mich sehr gefreut. Aber es gab eben auch die andere Seite. Ich habe ja einige Bekannte hier und dort im Kindergarten sitzen, da bekommt man schon einiges mit, obwohl ausdrücklich in den Mappen steht, dass man mich zu Fragen / Kritik kontaktieren soll sind das natürlich nur Aussagen, die man über den Kindergarten-Flurfunk “hintenrum” mitbekommt. Manchen gefiel mein Stil nicht, der Hintergrund sei zu unscharf, die Köpfe abgeschnitten (übersetzt heißt das wohl, dass ich Gesichter angeschnitten habe, was eine Frage des Stils und der Bildwirkung ist, aber ich muss mich diesbezüglich ja nicht rechtfertigen, die einen mögen’s, die anderen nun mal nicht) – oder die Farben zu warm.

Kinderfotografie Bruchsal

Kinderfotos sind erstrecht mit angeschnittenem Kopf, unperfekter Frisur und unscharfem Hintergrund reizvoll. Finde ich. Und eine handvoll andere Eltern. Aber eben nicht alle.

Natürlich ja, aber bitte lachend und in gewohnter Iphone-alles-scharf-Qualität.

Tja, was soll ich da sagen? Es ist klar, dass man es nicht allen recht machen kann, aber schade, dass man beim eigenen Geschmack eben oft nicht verstehen kann, dass es anderen gefallen könnte. Es ist einfach unmöglich, 72 (?) Elternpaare zufrieden zu stellen. Wer natürliche Bilder möchte, sollte keine Studioaufnahmen mit Blende 11 erwarten. Klar, jeder erwartet und sieht unter einem Begriff etwas anderes. Das kann ja irgendwie auch nur schiefgehen, bei aller Liebe zum Detail und für herzige Kindergesichter, die ich auch grummelnd oder skeptisch hübsch fand, und auch von den Erzieherinnen hörte: Genau so ist er / sie eben! Und ich persönlich shee mein Kind am liebsten so, wie es ist… Und nicht wie ein Werbemodel für Zahnpasta. Aber auch hier sind Erwartungen und Möglichkeiten eben zwei unterschiedliche Dinge. Am meisten geschimpft oder unglücklich waren leider die Eltern, für die ich extra viel Zeit investiert habe. Weil nicht alle Fotos dabei waren. (wie gesagt, es gab die Option, den USB Stick zu kaufen. Manche bekamen 1-2 Bilder mehr, weil ich sie kannte, oder sie mir Nachmittags ein Eis brachten oder die Kinder so lieb waren, aber da wurde natürlich auch gemeckert, wenn man eben KEIN Geschenk bekommen hat. Also bleibt gar keine andere Möglichkeit, als dass ich es falsch mache.

  • Mama XY ein Bild mehr als ich für denselben Preis! (dass ich nicht schenken soll habe ich durch meine Fotoaktion also leider auch gelernt.).
  • Die Geschwistermappe ist zu günstig, das ist unfair. (das ist nämlich auch nicht okay. zu günstig ist doof und zu teuer auch. Dass ich nicht wollte, dass Eltern mit mehreren Kindern 100€ bezahlen mussten, ist scheinbar auch ein Fehler gewesen.)
  • Wieso sitzt das Kind auf einem Stuhl, wo es doch natürliche Bilder sein sollten? (Weil ich den, der den Rasen gemäht hat, leider nicht ausfindig machen konnte, um ihn als Requisit zu benutzen.)
  • Es wurden so viele Bilder gemacht aber es sind nur 2 in der Mappe! (weil man die restlichen dazu kaufen konnte, wie ich mehrfach geschrieben habe.)
  • Wieso lacht mein Kind nicht? (weil ich eine fremde Frau bin und es auch mit Hilfe der Erzieherinnen, die leider auch nicht die ganze Zeit dabei waren,  einfach nicht sein sollte. Und weil ich Kinder ungern zu etwas zwinge… Oder weil ich versucht habe, ihnen mit Fragen zur Lieblingssüßigkeit oder Lieblingsspielzeug eine fröhliche Antwort mit Lächeln zu entlocken, die aber stattdessen unreflektiert von den davorstehenden Eltern beantwortet wurde….)
  • Das Bild ist zu hell / zu dunkel / zu sonnig / zu groß / zu klein
  • Die Köpfe sind ja abgeschnitten! (wer sich mit meinem Stil befasst hat oder gar vorab die Chance wahrnahm und sich durch meine Galerie klickte, sieht, dass ich andauernd Köpfe AN(!)schneide, was etwas mit Bildwirkung, Schnitt und Stil zu tun hat. Ich bin müde, es zu erklären, vor allem wenn es mit nachfolgender Aussage zusammentrifft).
  • Die Härte fand ich allerdings: Wieso ist der Hintergrund so unscharf? Dazu muss ich gar nicht erst was sagen, aber das sagte mir halt schon alles.Nächstes Mal mit der Iphonekamera bekomme ich bestimmt alles scharf.

Dieses Feedback erreichte mich übrigens einen Tag, nachdem ich beim Contest der Vereinigung deutschsprachiger Kinderfotografen 2x in den Top 10 und 1x in den Top 20 platziert wurde. Ganz so schlimm scheint es also doch nicht um meine Arbeit bestellt sein. Nicht, dass ich daran gezweifelt hätte, aber natürlich macht so ein Gerede schon traurig, gerade wenn man so viel Leidenschaft hineingesteckt hat.

Kinderfotografie Bruchsal

Mein Sohn darf als Beispielbild herhalten. Auch er lacht nicht und niemals auf Kommando. Und aufgeschlagene Knie hat er auf dem Foto auch noch. Dabei müssen Kinder doch scheinbar immer perfekt sein!

Nächstes Mal wird alles besser, vielleicht verschenke ich dann Bobbycars.

Tja, was soll ich sagen? Nein, ich hatte ja auch einige positive Rückmeldungen. Also prinzipiell erreichten mich persönlich NUR die positiven Nachrichten, die mich sehr gefreut haben. Aber man befasst sich natürlich in erster Linie mit dem Negativen. Nächstes Mal vielleicht einen Kontaktabzug dazu legen mit den Bildern, die ich pro Kind noch habe. Das sind für mich in dem Fall aber auch 75 Drucke mehr, die ich preislich wieder aufschlagen muss. Und schon bin ich wieder “viel zu teuer”. Nächstes Mal, nächstes Mal. Ich habe überlegt, wieso eigentlich? Wieso tue ich mir das an? Es ist klar, dass ich es nicht allen recht machen kann, und genau das will ich nicht.

Es ist doch so: Eltern, die ihre Kinder normalerweise von mit fotografieren lassen, zahlen gerne (!) das 10-fache. Nicht weil ich so irre teuer bin, sondern weil der Kindergarten so irre billig war. Denn das ist ja klar, genommen wird nur der Fotograf, der spottbillig ist, und dazu auch noch traumhafte Bilder anbietet. Oder wie bei einer Freundin im Ort den Kindergarten illegaler Weise auch noch mit Geschenken besticht (ein Bobbycar für die Einrichtung! Wie schäbig ist das denn!!!). Jedenfalls: Kunden, die mich für “große” Shootings buchen, beschweren sich nie, dass ich zu lang, zu kurz, zu komische Posen oder sonst was von ihnen wollte. Für die nehme ich mir Zeit, die es braucht, ihre Kinder natürlich zu erwischen. In Ruhe. Ohne andere oder gar wartende / tratschende Eltern vor ihnen, sondern ausgelassen und spielend, fröhlich und nicht mit dem Kommando “lach doch bitte, bitte mal, dann gibt’s auch ein Eis”. Kinder sind keine Maschinen und ein ehrliches Lachen kann man nicht erzwingen. Schon gar nicht, wenn man 80 Kinder an 2 Tagen durchfotografiert und eben keine halbe Stunde pro Kind Zeit hat. Auch wenn die Fotografin das im Jahr zuvor wohl so gemacht hat – dann hätte ich andere Preise berechnen müssen, und wieder andere Eltern mit weniger Geld oder mehr Kindern dadurch benachteiligt. Ihr seht, ich bin zum Entschluss gekommen, dass man es nicht richtig machen kann.

Die Eltern, die zu mir kommen, weil sie MICH, meinen STIL und meine Bilder wollen, die zahlen den vollen Preis und sind danach immer (!) zufrieden, weil sie sich vorab mit mir und meiner Arbeit befasst haben, Bilder angesehen haben, meinen Stil kennenlernen wollten. Wieso also sollte ich mich künftig weiterhin wieder vor fremde Kinder knien, deren Eltern das vielleicht gar nicht so wollen, bei 35 Grad im Schatten, sie Spaghettiiii sagen lassen, damit die Eltern die Grinse Bilder bekommen die sie erwarten, so sehr ich auch “natürlich” auf meine Flaggen schreibe und überhaupt keine Kommandos zum Lachen geben möchte?

Natürliche Kinderfotos und Kindergarten – in meinen Augen ist das nicht vereinbar

Natürliche Kinderfotografie und Kindergartenfotografie lassen sich nicht vereinen. Und es lassen sich nicht alle Eltern mit einem Stil zufrieden stellen. Eben. Es ist halt, wie bei allem auf der Welt, Geschmackssache. So wie ich keine Bilder vor blaumarmorierten Hintergrundstoffen anbiete, so gefällt das aber halt dem einen oder anderen. Was das mit den einzelnen macht, wenn man seinen persönlichen Geschmack als “gut” und alles darum herum als “schlecht” ansieht, ahnen wohl nur die wenigsten.

Ich habe anschließend einen weiteren Kindergarten fotografiert, dieses Mal bei 39 Grad im Schatten 😉 Die Organisation lief durch die Leitung und nicht den Elternbeirat, ich hatte das Gefühl (das kann mich ja auch täuschen, aber so war es eben!), alle freuten sich ein bisschen mehr auf die Bilder, von Kindern bis zu den Erzieherinnen, die es zum Teil kaum erwarten konnten fotografiert zu werden. Die Bilder habe ich nun erst ganz frisch abgegeben und die Resonanz wird mich erst in den nächsten Tagen treffen. Die Erzieherinnen schienen jedoch mit dem Ergebnis zufrieden und ich hörte nicht nur einmal “ganz anders, aber toll!”. Was die Eltern zu sagen haben, werde ich erst in den kommenden Tagen sehen.

Aber für mich steht leider so oder so schon fest: Ich biete wohl keine Kindergartenfotografie mehr an. Es war ein Versuch und ich finde, ich habe das richtig gut gemacht, aber es tut mir nicht gut. Wie man es macht, bleibt irgendjemand auf der Strecke – für die einen der Stil, für die anderen der Preis, für wieder andere der Hintergrund oder fehlende Klebebildchen und Schlüsselanhänger-Gimmicks, die es bei mir nunmal niemals geben wird, weil ich von diesem Kitsch eben nichts halte.

Und für Euch, liebe Eltern?

Ich kann nur an alle Eltern apellieren: Fragt vielleicht erstmal den Fotografen nach dem, was dahintersteckt, wenn ihr mit etwas unzufrieden seid. Nutzt die Gelegenheit, ihm persönlich zu sagen, was euch nicht gefällt, damit er es besser machen kann, anstatt nur zu tratschen. Habt Verständnis und erwartet keine eierlegende Wollmilchsau oder durch eine Fremde erstellte, natürlich aber schön herzlich lachende Fotos eines fremdelnden 3 jährigen in 2 Minuten für unter 10€, dazu Geschenke, aber nur für die richtigen Personen, eine kühle Brise und keine Sonne – das geht nämlich schlichtweg nicht, auch wenn sich der Fotograf sicher bemüht hat, Euch alle glücklich zu machen. Bucht lieber ein entspanntes Familienshooting im Freien, meinetwegen auch im Studio bei einem Fotografen, dessen Stil Euch anspricht und dessen Bilder Euch gefallen, anstatt unzufrieden irgendwelche Mappen mit Blumentöpfen (gibts wohl wirklich, hab ich mir erzählen lassen) oder Schlüsselanhängerchen zu kaufen, die Euch als gratis-Geschenk versprochen werden, in Wirklichkeit aber nichts weiter als Werbemaßnahmen sind… Besprecht im Elternbeirat oder mit der Leitung Eure Wünsche und Ideen, aber bleibt auf dem Boden der Tatsachen und schiebt niemandem ie Schuld in die Schuhe, dass Eure Kinder nicht auf Knopfdruck natürlich lachen können. Ihr könnt das auch nicht!

 

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Filed Under: Erlebnisse, erste Male, fotos, Kamikazefliege, Kindergarten

zweiunddreißig

26/04

Früher wollte ich immer 32 sein. Ich war 15, und der Sänger einer Band, die ich mochte, war 32. Ich fand es unfair, dass ich noch so jung war und alle dachten, mit 15 sei man naiv und interessiere sich nur für Take That oder Schminke. Ich glaubte, mit 32, da ist man erwachsen und hat immer den selben Haarschnitt, weil man weiß was einem gefällt und braucht keine Kleider mehr zu kaufen, denn man hat ja dann einen Stil und verändert sich nicht mehr groß. Und ich glaubte, man trinkt gerne Sekt und belächelt die 15jährigen dieser Welt. Und man würde stets ernst genommen werden. Und dass alle 32 jährigen in einer Art Geheimbund waren und sich verstanden, nett zueinander waren und sich erwachsen fühlten. Alles was ich sein wollte: 32.

Ich habe gechattet, Metropolis hieß die Seite damals. Sie wurde in einer Computerzeitschrift empfohlen und war das erste, was ich damals ausprobiert habe. Eigentlich wollte ich gar keinen Computer, und als ein Mann, der schon immer gerne sein Halbwissen als allgemeingültige Wahrheit hinstellte, mir mit meinen 12 Jahren erklärte, dass man eine neue Sprache lernen müsse, um Computer bedienen zu können (die Computersprache nämlich) habe ich geweint und wollte gar keinen Computer haben. Ich wusste von schwarzen Bildschirmen und DOS – Eingaben, wie die, die mein Opa auf einer Liste stehen hatte, um das Bestellsystem in seinem Laden zum Laufen zu bringen. Fünfmal F4, Dann Enter, F8 usw. Druckte. Ich habe gerne gedruckt. Das hat so witzige Geräusche gemacht und auf das Papier konnte ich anschließend malen. Man musste eben nur die grünen Linien ausblenden, oder einfach einbauen. Aber was sollte ich mit so einem Teil?

Und dann hatten wir eben einen eigenen Computer. Ich war ganz schön erleichtert, dass wir den selbst anschließen konnten, und nachdem ich Kunstwerke in Paint gemalt hatte und ich es beim beiliegenden 3D-Spiel nicht weiter als zu Level 1 geschafft hatte, gab es irgendwann auch Internet.

Ich nannte mich schlagzeugerin32 weil ich ein paar Monate Schlagzeugunterricht hatte und der Meinung war, dass andere Sachen wie tanzen oder Vereine nix für mich sind. Lieber wollte ich kein Teeniemädchen sein, wenn das schon niemand nachprüfen konnte. Und mein Schlagzeuglehrer nahm mich auch halbwegs ernst, glaube ich. Immerhin bin ich heute noch auf Facebook mit ihm befreundet. Ich konnte mir eine Zukunft als Rockstar doch besser vorstellen als eine in Faltenrock im Büro. Die meisten Teeniemädchen fand ich nämlich oberflächlich, albern und doof. Rückblickend war ich nichts anderes, natürlich. Und wenn ich Filme sehe, die ich mit 15 im Landschulheim gedreht habe, dann ist das so peinlich, dass sich das niemand vorstellen kann. 15 eben! Die Leute im Chat dachten jedenfalls relativ lange, ich sei 32 und als ich einem, der zwar um mein Alter wusste, aber wohl noch immer das Bild einer Barbie im Kopf hatte das Schulfotografenfoto mit der Webcam abfotografierte, meldete er sich nicht mehr. Dann habe ich es auch bald sein lassen, 32 sein zu wollen und wurde stattdessen regulär 16 und 17 und vergaß die 32.

Tja, seit gestern bin ich 32. Aber ich mag noch immer keinen Sekt, Schlagzeug spiele ich leider nicht mehr. Faltenröcke trage ich zum Glück auch nicht, aber erwachsen fühle ich mich auch kein bisschen. Klar, wenn ich zum dritten mal sage, räum bitte endlich dein Zimmer auf oder die Augen verdrehe, weil Besuch es nicht hinbekommt, den Klodeckel zuzumachen. Oder wenn ich Mahnungen an Kunden schreiben muss oder Dinge regle wie Kindergartenplatzzusagen, Fahrradhelme kaufen, Kalender nicht verlieren oder Einkaufszettel schreiben -da denke ich schon, dass ich ein bisschen mehr erwachsen bin als zum Beispiel noch ohne Kind. Oder ohne Ausbildung. Oder ohne Schulabschluss. Und so weiter.In einem Geheimbund wo sich alle grüßen bin ich auch nur, wenn ich in meinem Auto sitze, denn wenigstens PT Cruiser-Fahrer grüßen sich gegenseitig.

Aber dass ich mal verheiratet bin und ein Kind habe, konnte ich mir nicht vorstellen.  Klar, ich wollte immer Kinder, aber wie das sein wird oder wann oder mit wem? Sowas habe ich mir eigentlich nie ausgemalt. So konnte ich es mir schon sparen, auf Boyband- Konzerten Plakate mit “ich will ein Kind von dir” hochzuhalten.

Auf jeden Fall ist alles prima so. Also 32 zu sein, meine ich. Und so, wie es ist.Und 15 will ich wirklich nicht mehr sein.

Ich bin auch keine von denen, die ihr Alter nicht verrät oder nicht gerne älter wird. Klar, irgendwann wäre es schon nett, wenn es aufhören würde, dieses älter werden. Ich habe früher immer gedacht, ich sei eine Ausnahme. Bei allem. Und bis ich älter wäre, sei bestimmt auch etwas gegen das Altern erfunden. Leider hat das aber scheinbar doch noch keiner erfunden. Okay, wenn man manchen Verschwörungstheorien glaubt, ist Keanu Reeves zum Beispiel unsterblich. Aber man kann halt nicht alles haben. Kein Ding, mit meinen Falten kann ich umgehen, und ich habe nicht das Bedürfnis, ewig jugendliche Haut zu haben. Oder wie ein wandelndes Skelett mit zurückgetackerter Haut mit 60 behaupten, ich sehe aus wie 40. Das tut keiner, und die, die es zwanghaft versuchen, tun mir eher leid. Das einzige, was ich mir mit Photoshop manchmal wegretuschiere sind Speckrollen am Kinn oder Bauch, aber meine wenigen Falten und besonders die Lachfalten sind echt okay.

Wie auch immer, was ich ursprünglich sagen wollte: Vielen Dank für all die lieben Nachrichten, Glückwünsche und so weiter. Es hat mich so gefreut, wer alles an mich gedacht hat, und auch halbwegs unbekannte Menschen, die mich vom Blog oder Twitter kennen, waren so lieb und herzlich. Danke!!!

Ich probiere das jetzt mal ein Jahr lang aus, dieses zweiunddreißig sein.

 

Posted by kamikazefliege 5 Comments
Filed Under: Geburtstag, Kamikazefliege, Privates

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