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Kamikazefliege

Nichts passiert.

22/01

Schwierig. Sehr schwieriges Thema. Ich würde gerne darüber schreiben, habe ich mir heute Vormittag auf dem Parkplatz gegenüber der “Gemeinschaftsunterkunft” (Flüchtlingsheim) gedacht, als ich bei -2 Grad mein Auto verfluchte, das erst beim 4. mal anspringen wollte. Aber ich lasse das lieber, dachte ich. Solche Artikel schlagen nämlich schnell um. Mich jedenfalls nerven sie eher, alles schon mal gelesen. Entweder sie klingen nach Selbstbeweihräuchterung (ich bin ja so gut, ich helfe, ich habe auf dem Heimweg vom Designer-Fashion-Treffen einem Flüchtling nämlich den Weg erklärt!), sie sind zu schleimig oder sie sind schon mal dagewesen.

Oder sie locken Trolle an, die mit Kommentaren ihre unreflektierte “Wahrheit” verbreiten wollen, indem sie andere verletzen und sich benehmen, wie herumkotzende, vollgesoffene Bierbauchtouristen auf Mallorca, nur eben im Internet. Ich habe zu viele Kommentare gelesen, ich weiß auch gar nicht wieso. Auch von Menschen, bei denen ich dachte, dass man sich verstehen würde. In denen bei einem Feuerwehreinsatz im Nachbarort gehofft wurde, die Flüchtlingsunterkunft dort würde “endlich niederbrennen”. Solche mit “Armes Deutschland!” und “Ist Fakt!!!” dahinter denn was soll man darauf schon sagen? Fakt! Oder solche Bildzeitungs-Weisheiten, in denen deutsche Obdachlose bemitleidet wurden und mit der Flüchtlingssituation verglichen wurden. Von denen, die auf der Straße noch keinem Obdachlosen einen Kaffee oder ein Brötchen angeboten haben, sondern schnell ihre Tasche ein bisschen fester an sich drückten und eilig weiterliefen, wenn sie einen auf der Parkbank, oder daneben sitzen sahen. Die selben Leute, die auf einen Mord unter Obdachlosen in einem unserer Parks schrieben “gut so, die saufen eh nur” und “einer weniger von den Pennern”. Solche Leute, die sich vor psychisch kranken Menschen ekeln, die ich 6 Jahre lang betreut habe, und dann aber herumposaunen, dass die Geflüchteten allesamt nur Schmarotzer seien oder pseudomoralische Bildchen teilen, auf denen steht “Liebe Frau Merkel, hier erfrieren Obdachlose und kranke, während die Fremden Smartphones besitzen, !!1einself!!”. Als würde das Geld, das in die Flüchtlingshilfe fließt, andernfalls denen (arme Kinder, arme Menschen, Rentner etc.)  zugute kommen, die einen deutschen Stempel im Pass haben, wenn es keine Flüchtlinge gäbe. Ich habe geschwiegen. Nicht, weil ich nichts zu sagen hätte, sondern weil es sinnlos ist. Weil es mich verärgert, aufregt und mich ein bisschen den Glauben an Intelligenz und ein Miteinander verlieren ließen. Weil ich ein kleines bisschen verbitterter fremde Menschen betrachtete, wenn ich durch die Stadt lief. Ob der Typ da wohl einer von denen ist, die solche moralischen Abgründe im Internet von sich geben? Ich las einen Artikel einer jungen Frau, welche die Vorfälle in Köln neutral beschrieb und beschimpft wurde, einfach zu hässlich gewesen sein, um missbraucht zu werden. Geschrieben von deutschen, selbstverständlich, die Respektlosigkeit und den Sexismus der “Ausländer” anprangern. Es widert mich an, es ekelt mich.

Ich war wegen diesem ganzen Mist kurz davor mich bei Facebook zu löschen, konnte die Scheiße nicht mehr lesen und war betroffen, dass auch Menschen solche Dinge teilten, die mir einst nahe standen, während sie ihre gelangweilten Körper auf dem Sofa vom Blaumachen ausruhen, während sie D – Promis dabei zusehen, wie diese Insekten fressen oder sich über ihre Frisur Gedanken machen oder sich drüber aufregen, wenn der Nachbar samstags statt freitags die Kehrwoche erledigt hat, oder morgens beim Kindergarten quer über 3 Parkplätze mit laufendem Motor erstmal in Ruhe das Kind zur Gruppe bringen. Ja, solange haben wir noch keine ernsten Probleme, und so lange steht es uns nicht zu, über die von uns vielleicht nicht gerne gesehene Existenz anderer Gedanken zu machen in einem Land, dessen Grenzen wir nichteinmal selbst gezogen haben.

Dann wurde es Abend und ich überlegte weiter, ob ich nicht doch darüber schreiben soll, denn ganz in Ruhe ließ es mich nicht. Und jetzt schreibe ich schon viel mehr und etwas ganz anderes als das, was ich eigentlich schreiben wollte.

Am Vormittag klingelte das Telefon. Eine Sozialarbeiterin einer unserer Gemeinschaftsunterkünfte erkundigte sich, ob sie 2 Personen in mein Studio schicken kann, sie brauchen biometrische Passbilder, was es kostet und so weiter. Eigentlich biete ich das nicht an, es rentiert sich nicht und ist umständlich, und in mein Atelier sind es 10 Minuten, zur Unterkunft 2 Minuten. Ich überlegte nicht lange und bot an, schnell vorbeizukommen. Und ehrlich gesagt habe ich mich gefreut, mit dem was ich kann, auch mal irgendwas zu tun. Schnell erzählte ich das noch auf Twitter, drückte mich aber wohl auch etwas missverständlich aus, worauf ich Schmink- und Kleidungstipps erhielt, die ich ziemlich verwirrt zur Kenntnis nahm. Huh? Das beeindruckte mich doch nochmal mehr, nicht weil ich Angst hatte, sondern weil es mir die Angst vor dem Fremden anderer so bewusst machte…

Ausreichend ausgerüstet – nämlich so wie immer – wollte ich das Büro suchen, schaute mich frierend und suchend im Hof um. Niemand war da, neben dem Gebäude gab es Container, provisorische Waschräume bei Minusgraden. Es erinnerte mich ein wenig an Festivals und ich konnte mir nur schwer vorstellen, dass sich jemand so etwas antut, monatelang, für ein vielleicht besseres Leben, und das bei Minusgraden direkt an einer Hauptverkehrsstraße, aber was weiß ich schon davon. Jedenfalls nahm ich wahr, wie sauber und ordentlich der Hof aussah und schämte mich schon fast etwas über diesen Gedanken, als hätten sich auch bei mir Vorurteile angesetzt. Wie ich mich so umschaute und den Eingang zum Büro suchte, kam ein kleiner Mann um die 50 Jahre mit hellgrauem Haar und freundlichen Augen auf mich zu. Er fragte direkt mit Hand und Fuß und halbem Englisch, ob er mir helfen könne und erklärte mir den Weg zum Büro. Ich bedankte mich, und er winkte ab. Er wolle mich hinführen, weil er nicht wusste, ob er sich so gut verständlich machen konnte. Er begleitete mich zum Büro und mit einer angedeuteten Verbeugung verabschiedete er sich. Er lief wieder zurück zum Innenhof. Barfuß in Flipflops.

Das Büro befand sich im ersten Stock. Die Männer, die davor und darin warteten, schauten ernst. Keiner lungerte herum, wie man das vielleicht erwartet, keiner stürzte sich auf mich (Achtung, Ironie.). Ein Mitarbeiter stellte mir den ersten Mann vor, der ein Bild brauchte. Ein gepflegter Mann in Hemd, darüber ein Wollpullover. Er strich sich die Haare glatt, nickte mir zu und stellte sich hin. Sein Gesichtsausdruck war perfekt biometrisch – ich musste nichts sagen, nichts tun außer den Auslöser zu drücken. Er war ausdruckslos an dieser weißen Wand gestanden, ließ es über sich ergehen, ich zeigte ihm das Bild, er nickte, strich sich über die Haare, ich sagte, die seien okay. Ich kenne das von meinen Kunden, die das Bild sehen und kichern, sagen, es sei ein verbrecherfoto, ob sie nicht doch lächeln dürfen, wie schlimm sie aussehen, und so weiter. Dieser Mann nickte ein Biometrie-Nicken, sagte, er holt nun den anderen Mann und ging. barfuß, in Flipflops. Ich überlegte, was er wohl war. Was er hinter sich hat, er sah so gepflegt aus, er erinnerte mich an einen Arzt, den ich flüchtig kannte. Inzwischen kam die junge, fröhliche Sozialarbeiterin, mit der ich telefoniert hatte. Sie bedankte sich tausendmal und wir unterhielten und über die bittere Kälte, und dass die beiden Männer Pässe brauchen, afghanische, weil sie zurück wollen. Die Sozialarbeiterin schaute kurz besorgt aus. Oder traurig. Während weitere Bewohner der Unterkunft im Nebenraum mit einem Mitarbeiter über ein Formular sprachen und es sich gegenseitig übersetzten. Ich fotografierte den zweiten Mann, und ging wieder. Das wars. Nichts ist passiert. Keine Auseinandersetzungen, kein Sexismus, ich wurde nicht bestohlen, ich sah keine tränenrührenden Szenen, kein Elend, keine Verzweiflung, nur freundliche Menschen, dankbare Mitarbeiter und nackte Füße in Flipflops und Sandalen.

Anschließend war ich im Supermarkt direkt daneben. Man erkannte die Einwohner der Unterkunft an den (offenen) Schuhen. Ich machte mir Gedanken über Fischstäbchensorten und ob es wohl in Afghanistan auch solche Supermärkte mit verschiedenen Fischstäbchensorten gibt. Und was einen Mann dazu bewegen muss, eine unsichere, gefährliche Reise auf sich zu nehmen, auf ein besseres Leben zu hoffen und hier dann festzustellen, dass es zuhause doch besser sein kann. Oder wie es sein muss, sich unerwünscht oder unwillkommen zu fühlen, zu merken, an einem Ort keine Zukunft zu haben. Im Gang nebenan suchte eine Frau irgendein bestimmtes Produkt. Ich verstand nur die Antwort der Mitarbeiterin, die “drüben oben neben den Suppen.” herausknurrte, mit dem Kopf hindeutete und weiter Waren einräumte.  Ich dachte daran, wie ich gestern auch beim Einkaufen erlebte, wie eine Kassiererin schnaubte und die Augen über einen älteren Mann verdrehte, der sie bat, etwas auf seinem Kassenbon zu prüfen, als würde er fragen, ob sie alleine einen 2 Tonnen schweren Hinkelstein aus dem Weg räumt. Ich musste an den Mann denken, der mich selbstverständlich zum Büro begleitete, auch als ich sagte, ich finde den Weg. Und fragte mich, ob das am kulturellen Hintergrund liegt, an der Erziehung, oder daran, dass er Zeit hatte und die Mitarbeiterin im Supermarkt eben nicht.

Aber: Solange wir bei diesem Wetter warme Socken haben und warme Schuhe, steht es uns nicht zu, unsere Existenz gefährdet zu fürchten. Oder, wie Herr Ruthe das mal wunderschön ausdrückte: Link

 

 

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Filed Under: Alltag, Gesellschaft

Wasserflaschengestänker

25/07

Ich war heute bei ALDI.
An der Kasse, ein paar Leute vor mir, schoben zwei junge Frauen einen Einkaufswagen voller Wasserflaschen. Die beiden waren fröhlich, lustig und freundlich. Die Kassiererin hatte keinen großen Aufwand, sie musste nur 24×6 Flaschen Wasser eintippen, dann noch eine Wassermelone und ein paar kleine Wasserfläschchen und fertig.
Hinter mir in der Schlange stand ein älteres sehr altes Ehepaar. Sie fingen an zu spekulieren:
“Sicher grillen die am Wochenende. Aber selbst wenn man 2 mal grillt, so viel Wasser braucht doch kein Mensch. Das wird dann sicher nur weggeschüttet.” – “ja, viel zu viel zum Grillen und ganz unerhört ist das. Also unmöglich. Was wollen die denn auch mit dem ganzen Wasser. Dass die das überhaupt mitnehmen dürfen.” – “Stimmt, haushaltsübliche Mengen sind das nicht mehr. Dass die das dulden? Na mal sehen, vielleicht sagt die an der Kasse ja auch was. Und dann müssen sie es stehen lassen.” – “ja, und wenn die ne Gaststätte haben.. Ach, bestimmt haben die eine. Aber selbst dann ist es unerhört! Dann kann man ja auch bei METRO einkaufen, aber hier bei ALDI dann die Billigsachen kaufen für ein Restaurant? Und für viel Geld verkaufen dann. Das ist echt frech!” – “ja, und wenn de jetzt grillen oder eine Feier haben, mit 50 Leuten, dann trinkt jeder nur eine halbe Flasche von dem Wasser und den Rest schütten sie dann weg. Das muss doch echt nicht sein!!!” – “Guck mal, die kriegen das ja auch nie ins Auto. Und schieben kann man den Wagen auch nicht mehr. Also echt mal.”

ich denke mir, vielleicht haben die beiden in ihrer WG sonst kein Auto und wohnen auf dem Land? Vielleicht arbeiten sie, wie ich damals, in einer sozialen Einrichtung und müssen für ihre Betreuten den Monatseinkauf erledigen? Damals wurde ich auch schon angegangen wie ich meinen Wochenendeinkauf denn an einem Montagmorgen erledigen muss, wo es andere Leute eilig haben. Dabei war ich dienstlich unterwegs… (und selbst wenn nicht, was geht das die Leute an?)

So drehe ich mich um, sage “lassen sie die beiden Frauen doch einfach oder fragen sie, wozu sie das brauchen!?“
Die beiden schauen schnell weg, reißen die Augen auf, ignorieren mich, schauen sich an…  (denn direkt ansprechen ist scheiße, man muss immer so stänkern, dass es die betroffenen nicht mitbekommen.) und legen weiter los.

“siehst du!!! jetzt ist die eine Flasche runtergefallen. HAHA! Ich hab’s ja gesagt. Habs mir noch gedacht. Das geht doch auch nicht in den Wagen. Der ist ja schon voll. UNERHÖRT!” Die beiden Wassertäterinnen bezahlen und schieben den Wagen zu ihrem Auto, das gut sichtbar von der Kassenschlange (da waren dann noch 2 Leute vor mir) am Fenster hinter der Kasse stand.
“siehst du, siehst du!!! So ein kleines Auto! Total überladen! Die Polizei sollte man rufen!!!” – “achwas, die kriegen eh nicht alles rein.” – “Ja und was machen sie dann? Es einach stehen lassen? Ne, die sollen gefälligst zu METRO gehen. Ich finde das unmöglich. nee, ne!”

Ich wusste wirklich nicht – und das passiert mir nicht oft – ob ich lachen oder heulen soll. Ignorieren kann ich nicht, so lange Menschen über andere herziehen, statt diese direkt anzusprechen. Das geht mir auch in einem anderen Laden oft so, wenn gestänkert wird wieso die Kassiererin nicht eine weitere Kasse auf machen lässt, statt dass man hin geht und freundlich fragt, ob man noch eine Kasse öffnen könnte…

Und mir ging so viel durch den Kopf, denn es passt so gut auf alles, was man so täglich erlebt, und ganz besonders hier aufs Internet bezogen:

Wieso um alles in der Welt kann man die Leute nicht einfach mal machen lassen, was und wie sie wollen? Solange sie keinem dadurch schaden?
Um mal zurück aufs Blogthema zu kommen:
Sicher kann man sich ab und an mal denken, Boa, das hätt’ ich nicht gemacht. Das hätt’ ich nicht gekauft, das finde ich nicht schön, das ist übertrieben und das finde ich hier fehl am Platz. Sicher, das macht jeder mal. Beim einen mehr, beim anderen weniger. Aber muss man denn gleich die Leute verurteilen, beurteilen?

Ich habe auch Freunde / Familie gehabt, die einen Gehfrei haben, auch wenn ichs schlecht finde und nicht nutzen würde. Ich habe nicht gestänkert. Ich hab sie machen lassen. Ich habe Freunde, die mit 4 Monaten mit Beikost anfingen. Ich hab sie machen lassen, auch wenn ichs anders gemacht habe. Ich habe Freunde, deren Frisur ich nicht tragen würde. Eine Freundin geht arbeiten, wenn ihre Tochter 9 Monate alt ist. Ich hätte es nicht gewollt und gekonnt, aber dennoch mag ich sie sehr gerne und wünsche ihr nur das Beste. Ich versuche sie und andere nicht den ganzen Tag zu bekehren, denn zu ihr und ihrer Situation passt ihre Entscheidung.
Andere wollen keine 3 Jahre zuhause bleiben. Nicht ins Babyschwimmen. Kein privates Zeug ins Internet schreiben. Keinen Urlaub mit Wohnmobil, Ist ja auch meine Entscheidung.
Ich habe auch Menschen, die ich bei Twitter oder Instagram gerne verfolge und lese, die einiges anders machen als ich. Die gehen arbeiten, oder die Kinder sind in KiTas oder sie lassen ihre Kinder kein Fleisch essen oder wasweiß ich. Bloß weil jemand anders entscheidet als ich oder mal Dinge macht, die ich nicht gut finde, heißt das doch nicht, dass ich diese Menschen gleich weniger mag.
Von außen betrachtet ist es immer so leicht zu verurteilen, wenn man die Geschichten hinter den Menschen und vermeintlich eigenartigen Entscheidungen nicht kennt oder sie einem – wie bei den alten Menschen – gar nicht erst hören will. Es kann durchaus vorkommen, dass man ein Verhalten oder eine Entscheidung doof findet, den Menschen dennoch mag. Irre, was? 

Aber jeder entscheidet doch für sich und sein Leben, für seine Wasserflaschen und sein Kind und seine verdammten 24 Sixpacks Wasser, warum und wofür und wann und wo er sie braucht, und die anderen geht das schlicht einen feuchten Keks an…

Die Welt wäre so viel einfacher.

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Filed Under: Alltag, Gedanken, Gesellschaft

Rosablaurosablau!

28/10

Kinder kommen heute nicht mehr als Baby auf die Welt.
Sie sind von Geburt an Junge oder Mädchen und bekommen dies unmissverständlich vor Augen gehalten und anerzogen.

Und dann wird sich gewundert, weshalb sich Männlein und Weiblein nicht verstehen, es werden Bücher zum Verständnis zwischen Frau und Mann geschrieben, schlechte Radiosender ziehen Psychologen zurate und stellen sich täglich neue Fragen, weshalb Frauen so denken und Männder so sagen, und man kichert und findet es witzig, wieso die Geschlechter so ticken, und die Mädels lieber Sekt trinken und die Männer lieber Bier. Oder wieso Frauen nicht einparken können, hihihihihi (kotz.) In den Regalen stehen Männerchips und Frauenchips, Frauenbratwürste und Jungsschaumbäder, Schnuller bedruckt mit MACHO oder ZICKE.
Und dann wird sich gewundert, weshalb die Geschlechter eine andere Sprache sprechen, während wir den Jungs weiter erzählen, Puppen sind Mädchensache und die Autos nur für Jungs, Jungs sind harte gefühlsneutrale, ungern sprechende Männer und die Frauen sind kichernde Sektschlürfende Hohlbirnen in rosa. Möglichst ausgefallene Namen sollen sie haben, die Kinder, aber das ist dann auch das einzige, was sie in der rosablau Geschlechterwelt unterscheidet.

Und dann ist da noch die Frau, die heute im dm stand, vor dem Regal mit den Trinkflaschen, und die Verkäuferin lautstrak heranrief. “Ja, sind hier denn keine Flaschen mehr in BLAU da? Haben Sie diese Flasche hier nicht mehr in BLAU!?” – “nein, die sind ausverkauft.” – “Unsere Trinkflasche ist aber kaputt. Was soll ich denn nun machen? Soll mein Sohn nun aus einer ROSA Flasche trinken?!?”
Bevor er verdurstet? Ja. Übrigens waren da noch welche in durchsichtig. Und mit grün. sie wollte aber die BLAUE.

Meine Gedanken dazu:
Die Frage ist nicht, ob ein Junge aus einer rosa Trinkflasche trinken kann. Dass er das kann, wissen wir alle, ob ihr das wollt, ist eure Sache, und oder ob der arme Junge nun verdursten musste, weil die Mutter keine blaue Flasche kaufen konnte, werden wir nie erfahren.

Mein Problem, das ich mit so etwas habe, ist: Wieso denken die Menschen nicht weiter? 
Wieso gibt es Worte wie “jungstauglich” oder “mädchenfarben”, wieso muss ein Tragetuch zum Geschlecht des Kindes und nicht zum Geschmack der Mutter passen, weshalb gibt es pinke Bobbycars und blaue Kindersitze, und wieso um alles in der Welt ist das WICHTIG?
Wieso muss ein Kind schon im Kleinstkindalter offensichtlich als Junge oder Mädchen erkannt werden / MARKIERT werden? Ist es nicht schnurzpiepegal?

Und wieso wundern sich die Menschen, genau diese, die den Kindern die BLAUE Trinkflasche geben und nicht die rote oder gelbe oder grüne, wieso wundern die sich dann dass “Jungs eben so sind” und Jungs halt echt nur blaue Klamotten mögen und die Mädchen nur die rosafarbenen (“kannste machen was du willst, ist halt so, was wehst dich da denn so dagegen“) und dann wird das Kind mit seinen schlammfarbenen, monsterbedruckten Klamotten heraus aus dem Auto mit den “Cars” Sonnenschutzdingern von seinem blauen Kindersitz hinein in seinen schlammfarbenen Buggy gesetzt, bevor es mit seinen Monsterbedruckten Sportschuhen in die nächste Pfütze springen kann (denn das wollen Jungs doch immer, richtig?)… Und man lächelt den anderen Müttern zu, und sagt, Jungs wollen und mögen das halt so.

Versteht mich nicht falsch, mein Junge hat auch blaue Sachen, spielt und bestaunt Autos und er bekommt eine Werkbank zu Weihnachten!
Ich werde aber gewiss nicht zögern, eine rosa Flasche zu kaufen, wenn es keine blaue oder gar grüne, rote und gelbe mehr gibt. Oder hilflos vor dem Regal Verkäuferinnen anflehen, im Lager nach blauen Flaschen zu suchen, und dann über jungsreiche Jährgänge philosophieren, weil auffallend viele Jungenschnuller ausverkauft sind.

Ich verurteile diese Mutter nicht, wenn sie das ganz bewusst macht, meinetwegen, soll sie, aber der Gedanke, dass sie es wahrscheinlich nicht bewusst macht und ein Opfer ist der Industrie, der Zwangsindividualisierung dieser aufgedrückten Rollen und des blau – rosa – Wahns, genau diese Sache macht mich ganz wütend!
Es geht mir darum, dass Menschen nicht über den Tellerrand schauen!

Was ist nur mit den armen Kindern in Ländern, in denen es kein geschlechterspezifisch gefärbtes Plastikzeugs gibt? Die wissen doch auch irgendwann, ob sie Jungs sind, Mädchen sind oder was anderes sein wollen. Rasten da die Mütter auch aus, wenn es keine speziell als Jungstauglich markierten Trinkgefäße gibt?

Irgendwann finden Jungs Mädchen doof und umgekehrt, das muss so, das lernt man in Entwicklungspsychologie im ersten Jahr, da sagt keiner was gegen.
Aber Jungs bekommen diese Jungssache sehr oft anerzogen, angewöhnt, und Mädchen ebenso dieses Prinzessinensein, das rosafarbene und dass es immer besser ist, die pinkfarbene Variante von etwas zu wählen. Sicher WOLLEN Jungs irgendwann Ritter oder feuerwehrmänner sein und sollen das dann auch sein dürfen! Genauso wie Mädchen irgendwann Ballerinas, Pferde und Prinzessinen sein dürfen. Aber man muss es ihnen nicht angewöhnen, dass sie genau diese Richtung einschlagen sollen. Jungs sollen nicht angewöhnt bekommen, Jungssachen zu mögen und Mädchen müssen nicht Mädchensachen mögen, sondern sollten lernen, dass es keine Jungssachen und keine Mädchensachen geben muss und sie Prinzessinen sein dürfen, wenn sie wollen, dass sie blau auch hässlich finden dürfen, oder ganz schön, und dass sie Ritter wenn sie wollen, und nicht, weil sie in diese Welten hineinwachsen und hineingeboren wurden.

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Filed Under: Geschlechterrollen, Gesellschaft

Kamikazeflieges Babyratgeber, oder so!

18/07

Wenn ich ein Buch über das erste Lebensjahr schreiben sollte, würde das ziemlich kurz werden. Das ist wohl auch der Grund, wieso ich es nicht mache. Und weil es schon zu viele davon gibt. Und mir die Zeit fehlt. Und das Geld. Und die Leser.
Aber ich weiß, was in meinem Buch stehen würde.

* Kein Kind weint, um seine Eltern zu ärgern oder zu stören. Es weint, weil es Angst hat, ihm etwas fehlt der es etwas braucht. Und Ein Baby ist auch nicht zornig, weil es ärgern will.

* Höre nicht auf andere mehr als auf deinen Bauch. Lass dir nicht reinreden und ich nicht verunsichern.

* Sprich mit deinem Partner.

*Lies nicht zu viel. Und falls du es doch tust: Lass dich davon nicht völlig beeinflussen. 

* Sei nicht radikal. Soll heißen: Nicht NUR das oder das. Manchmal hilft das eine, manchmal das andere. Sei kreativ und wenn etwas nicht klappt, überlege dir eben eine andere Lösung.Nichts finde ich nerviger als Debatten, was besser ist: Flasche oder Stillen, Tragetuch oder Kinderwagen. Finde DEINEN Weg.

* Atme tief durch, wenn du genervt bist. Und sage dir: diese Zeit vergeht sehr, sehr schnell. In einem Jahr wirst du kaum mehr wissen, was dich heute belastet hat und was dein Kind heute noch nicht konnte. Es ist alles absehbar.

* Mach nicht jeden Scheiß mit. Ein Kind musst nicht zu Pekip, Babyschwimmen, Babymassage, Krabbelgruppe, Bergwandern für Babys (gibts!), Babyzeichen-Kurs, Baby-Golf und Früh-Chinesisch. Eine Sache reicht. Keine Sache ist auch in Ordnung. Überfordere dich und dein Kind nicht.Mach, was DU für sinnvoll hältst, und nicht, was in irgendeinem Ratgeber stand.

* Keine Schlaftrainings! Kein schreien lassen! Ohne Diskussion! Einfach: NEIN!

* Freunde mit Babys im gleichen Alter helfen unheimlich weiter. Auch sie werden mal zu spät kommen, auch sie werden ziemlich müde sein, auch sie werden Verabredungen absagen, wenn es dem Kind nicht gut geht, du bist nicht alleine.

* Wenn du glaubst, du genießt die erste Zeit: Genieße sie noch mehr. Sie geht so irre schnell vorbei. Wenn du glaubst, du hast genug Fotos gemacht, mach noch mal welche. Du hast später das Gefühl, all das auch nicht annähernd sorgfältig dokumentiert zu haben.

* Essen gehen mit Kind? Schwimmbadbesuch mit Kind? Stadtbummel mit Kind? Es gibt nichts, was du nicht ausprobieren kannst. Die Erfahrungen anderer müssen nicht auf dich zu treffen. Und wenn etwas nicht klappt, dann geht man eben nach Hause und weiß, was man das nächste Mal eben anders machen muss. Hab keine Angst vor solchen Dingen. Meist funktioniert alles problemlos, und man hat sich vorher umsonst gesorgt.

*Man kann nicht immer auf alles vorbereitet sein. Das macht keine schlechte Mutter aus einem.

* Vergleiche nicht. Am besten, man setzt sich auch Beim Arzt im Wartezimmer möglichst weit weg von anderen Eltern. Sonst wird man sofort belagert mit: “Mein Kind kann schon, meine größte Tochter hat ja, wie alt ist es denn, in dem Alter konnte meine ja…” Das nervt und bringt keinem was. Und viele Mütter lassen sich durch sowas obendrein auch noch verunsichern. Und das völlig ohne Grund!

* Such dir einen Kinderarzt mit mobilem Internet im Wartezimmer. Du wirst dort viel Zeit verbringen. Viel einsame Zeit. Internet hilft ungemein. Z.B. Zum Lästern über Twitter. Zum Hilferufe absetzen (“sitze seit 2 Stunden im Wartezimmer, ertrage klein KÄWINN und DIEHLAILAAAH einfach nimmer.”)…

* Ein Baby macht keine Sauerei, um zu ärgern. Es weiß nun mal nicht, was passiert, wenn man die Reisschale umdreht oder den Löffel fallen lässt. Das muss es herausfinden. Und es muss es auch herausfinden KÖNNEN.

* Schiebe jedes Gefühl für Ekel beiseite. Der Kartoffelbrei zwischen den Fußzehen? Babykotze auf dem frisch bezogenen Bett? Babyrotze in den Haaren? Pipi der Badewanne, in der auch du sitzt? Ja, das passiert. Davon geht die Welt nicht unter. Unsere Mütter haben das auch schon mitgemacht. Das Baby macht auch das nicht absichtlich. Bewundere in diesem Moment lieber deine eigenen Eltern, die das alles für uns durchgemacht haben. Und erzähl am Besten deinen Freundinnen davon. Die werden von diesen Geschichten auch ein paar auf Lager haben. Und wenn du die hörst, wirst du froh sein, dass es bei euch nur Pipi in der Badewanne war…

* Sprich mit deinem Kind! Ich finde es ganz schrecklich, wenn ich durch Einkaufsläden laufen und sehen, wie Babys mit ihren Eltern kommunizieren wollen, große Augen machen und auf Pappaufsteller zeigen, die Eltern aber so sehr darauf bedacht sind, dass das Baby ruhig ist oder dass der gesuchte Artikel möglichst schnell gefunden wird, dass das Baby ignoriert wird. Ich erkläre meinem Kind einfach immer, wo ich gerade hingehe, was wir suchen, was es gerade sieht. Das weckt sein Interesse für die Außenwelt und für die Abläufe des Alltags.

* Wenns ums Thema essen geht, auch nicht verunsichern lassen. Das Einzige: Kein Honig im 1. Lebensjahr (Gefahr einer Botulismusinfektion).

Der Rest meines Buches wären weiße Seiten, mit Herzchen bemalt.

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Filed Under: Alltag, Gesellschaft, Zeug

Wird gerne gelesen

  • Mentalitäten
  • 40 Jahre Weihnachten.
  • Ausgefallene Wünsche
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