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Kamikazefliege

Übergriffigkeit.

13/03

Wir haben da eine Nachbarin. Also, wir haben mehrere, denn in unserem Haus wohnen 20 Parteien, denn wir genießen nicht den Luxus eines Einfamilienhauses mit Garten und Schnickschnack, auch wenn man sich als Mutter, die 3 Jahre zuhause bleibt, anhören muss, dass man ja Geld wie Heu haben muss.

Wie auch immer, die Nachbarin. Als Ben ein Baby war und wir frisch vom Krankenhaus heim kamen, lud sie uns auf einen Schnaps ein. (Und zwar diese Art Zwangseinladung, die man nicht abschlagen kann, auch wenn man wirklich nichts lieber täte, als nach Hause zu gehen!). Eine Karte zur Geburt hatte sie auch besorgt, den Namen sollten wir aber selbst eintragen, weil sie den nicht wusste oder ihre Augen zu trocken waren oder ihr Mann seit 20 Jahren tot ist, irgendwas in der Art jedenfalls, ich kann die Geschichten leider nicht mehr auseinanderhalten, weil sie diese immer und immer wieder erwähnt. Tut mir ja auch leid, und zu einsamen alten Menschen ist man freundlich, da hört man zu. Ich jedenfalls und mein Mann auch, denn wir sind nett und wollen es allen recht machen, was auch eher eine ziemlich anstrengende Angewohnheit sein kann. Wünschen würde ich es mir jedenfalls manchmal ein bisschen anders. Bei diesem Zwangsschnaps fragten wir übrigens auch, ob wir unseren Kinderwagen da abstellen können. Denn zu unserer Wohnung gibt es nochmal einige weitere Stufen, und so mussten wir mit dem, Wagen nur aus dem Aufzug heraus. Sie sagte: Kein Problem, aber die Frau G. nebenan, DIE beklagt sich bestimmt, und die Frau S., da ist die Tochter mal über eine Pflanze gefallen beim Licht anmachen und deswegen hat DIE bestimmt was dagegen. Für SIE sei das in Ordnung. Beide weiteren Nachbarn hatten kein Problem mit dem Kinderwagen (wie zu erwarten war!).

In der Zwischenzeit traf ich besagte Nachbarin vor der Tür, ein paar mal. Immer wieder durfte ich kleine Spitzen hören, die beliebteste war: “Und wieeeeder ohne Miiiieetzääää!!!” (Das soll Mütze heißen. Fragt Sie Menschen mit diesem Dialekt mal nach einer Tüte. Viel Spaß!). 12 Grad, Weg von Auto ins Haus. Ohne Mütze. 15 Grad, Kind riss sich im Auto die Mütze vom Kopf, keine Sekunde später quetscht sich die Nachbarin ans Fenster, wedelt tadelnd mit dem Zeigefinger. Wieder ohne Mütze. Dieser Spruch kam so oft, dass Mareike mir sogar einen Button mit dem Spruch “Schon wieder ohne Mütze!” bastelte. 25 Grad: jetzt habe ich es aber schon so oft gesagt, schon wieder ohne Mütze! Die Kinder frieren am Kopf! Die werden so schnell krank!!!!! Beeeeehhn, sag mal der Mama, sie ist eine Rabenmutter!!! 

Ups? Da war ich dann schon etwas pikiert, eine Rabenmutter? Ich mag Raben und sie sind bestimmt tolle Eltern, sonst gäbe es nicht so viele Raben oder sie wären lange schon ausgestorben. Zumindest essne sie ihre Eltern nicht auf, und beschimpfen keine anderen Leute. Aber allgemeingültig ist das ja nicht, was man mit der Bezeichnung so meint. Und dass ich abnehmen sollte, sagte sie schon lange vor der Schwangerschaft mal zu mir. Ich habe aber jeweils nichts gesagt, denn: Alte, einsame Menschen. Sind wir mal nett, wir wollen ja keinen Streit unter den Nachbarn. Ja, wie gesagt, ich wünsche mir, manchmal ein bisschen weniger nett sein zu können. Aber es geht hier um Mützen und nicht um “nicht aus der Haus können”.

So. Die Jahre vergingen. Unser Kinderwagen stand munter vor sich hin. Und dann, Ben war knapp über 2, sagte die Nachbarin mal: Beeeeeehhhn, brauchst du überhaupt noch eine Kinderwagen? Deine Mama hat auch noch eine andere in ihre Auto, gell? Ben antwortete nicht und ich dachte mir schon, ich weiß genau wieso sie so blöde Sachen sagt… Sie will den Wagen weg haben (warum auch immer!). Aber sie hat ja Beeeeehhhhn gefragt und nicht mich, also sagte ich nichts.Sie beklagte sich auch über die Dekoration von Frau G. an der Tür, die überhaupt nicht jahreszeitengemäß sei und was das überhaupt für Leute seien, die im Sommer noch Frühlingsdeko hängen haben.

Dieses Jahr sah ich dann immer öfter, dass die Bremse am Wagen zu war. Damals hatten wir gesagt, wir lassen die Bremse offen, damit die Nachbarin S. supertoll an den Lichtschalter kommt und sich dabei nicht den Arm bricht. Diese Idee stammte von der Nachbarin, und die Bremse sollte sowieso offen bleiben, denn den Luftreifen schadet es, wenn sie bei längerem Stehen diesem Druck ausgeliefert sind. Zumindest steht das so in der Anleitung des Wagens, und wir wollen uns dem ja nicht widersetzen oder selbst schuld sein, wenn er kaputt geht. Nun wurden sie aber täglich (!) wieder zu gemacht und wir hatten keine Ahnung von wem (könnt ihr euch beim Lesen ja schon denken, ne?). Also schrieb ich einen netten (!) Zettel: “Bitte Bremsen offen lassen, die Reifen gehen sonst kaputt. Danke.”

2 Tage später flog die Tür der Nachbarin auf. Wütend. Schwungvoll. Sie deutete mit dem Kopf auf den Zettel. Sie habe “das da” gelesen. Sie habe das aber nur manchmal gemacht als ihre große Pflanze noch da stand. Aber die steht da ja nun nicht mehr und daher sei es egal. Ich sagte, Ich wusste nicht wer das macht, vielleicht sind es ja noch andere Leute, darum habe ich das geschrieben. Okay, sie sagte, sie mache es nun ja nicht mehr. Tür ging zu.

5 Tage später klingelte es an unserer Tür. Wir waren gerade auf dem Weg irgendwohin, es war Samstag Morgen. Nachbarin stand da und fing an, auf meinen Mann einzureden. Sie könne lesen, was wir denn glauben! Wir hätten doch einfach klingeln können, und sagen dass sie das nicht machen soll! Der Zettel wird sofort weggemacht! Sie hielt uns immer für intelligente Menschen, aber sowas müsse sie sich nicht gefallen lassen! Eine Woche würde das nun da stehen! Das sei eine Unverschämtheit etc pp. Letztendlich ging es ihr darum, dass sie sich von dem Zettel persönlich angegriffen fühlte, weil er auf ihre Wohnungstür “zeigte” (er war halt da festgemacht, wo die Bremse ist!). Alle Argumente meines Mannes (ich stand sprachlos in der Küche!) redete sie zunichte, verstand sie nicht (dass wir z.B. auch nicht wussten, wer es ist, dass es auch Hausfremde Menschen machen wie die Maler neulich oder der Aufzugsrepariermann und z.B. an der Eingangstür auch steht, man soll sie schließen, und das seit vielen Jahren, obwohl es doch alle gelesen haben und sich davon auch keiner angepisst fühlt.) … Bla. Der Zettel muss weg, und überhaupt. Sie habe sich viel gefallen lassen und nichts gesagt, als der Wagen von den Handwerkern (!!!) auf ihre Loggia geschoben wurde, und als sie Kartons (zusammengefaltet) mit unserem Namen in der ALTPAPIERTONNE fand, hat sie auch geschwiegen. (und eben sagte sie noch, sie könne lesen!). Und Päckchen habe sie doch auch IMMER angenommen, aber SOWAS jetzt bringe das Fass zum Überlaufen. Und dass wir jetzt weg müssen kommentierte sie nur mit einem süffisanten “jaja, sie müssen “weg”.” (Mann und Kind standen in Jacke da. Alles klar, ja?

Wir waren fassungs- und sprachlos. Entfernten den Zettel, um ihn den Eltern zu zeigen, die ihn auch kein bisschen anstößig fanden. Thema fast gegessen, ich wollte nochmal klingeln und klarstellen, dass ich diese Aktion unfassbar fand, ihr nie was Böses wollte und vor allem, dass Karton in die Altpapiertonne gehört und es sogar drauf steht! Aber dazu kam es nicht, vorher klingelte sie nämlich bei mir an der Tür. Sie habe nun Kehrwoche, der Zettel sei ja entfernt und darum alles wieder in Ordnung. Aber sie bittet uns höflich, den Wagen in den Keller zu räumen. Ich sagte, dass ich das nicht mache, denn da würde er gestohlen werden können, wo denn nun plötzlich das Problem sei! Da sagt sie doch wirklich, Ben sei doch nun schon viel zu groß & viel zu alt für den Wagen, und ich könne ihn auch in UNSEREN Keller stellen (der hat die Größe einer Hutschachtel). Ich sagte, dass ich gerade Kunden hier habe und das nun nicht ausdiskutiere, ich aber sowieso mal noch mit ihr sprechen möchte, weil ich diese Aktion mit dem Zettel so nicht beruhen lassen werde, nun aber weiter arbeiten werde. Stellt sie den Fuß in die Tür und mault weiter rum, vor meinen Kunden. Die anderen im Haus haben auch alle gesagt, sowas müsse sie sich nicht gefallen lassen! Ich hab sie dann nochmal gebeten zu gehen, so freundlich ich noch konnte (gar nicht mehr nämlich) und die Tür zugeknallt. Irgendwann ist auch bei mir mal gut.

So, und jetzt? Ich könnte es einfach abhaken unter dummen Menschen. Die Frau ist alt und hat zu viel Zeit zum Nachdenken und man müsste Mitleid haben, dass sie sich an solchen Kleinigkeiten derart stören muss. Sie hat selbst eine Tochter und wohl schon lange vergessen, wie das damals war. Auch das ist sehr tragisch. Ich könnte mir nicht weiter Gedanken machen und den dummen Kinderwagen wegstellen, worüber wir schon lange nachdachten, weil wir ihn kaum mehr benutzen, was unsere Nachbarin aber einen feuchten Keks angeht. Und dann? Dann stößt sie sich am nächsten auf. An unserem Weihnachtskranz an der Tür z.B., den ich mitterweile eigentlich ganz witzig finde. Außerdem sehe ich es auch nicht ein, ihr ihren Willen zu geben. Sie wird händereibend auf dem Sofa sitzen und denken, sie hat was großes vollbracht. Endlich.

Das Problem ist nur, dass mich sowas fertig macht. Nicht, weil ich schluchzend in der Ecke sitze, weil ich will, dass mich alle Leute lieb haben. Oder weil ich unseren Wagen nicht in den Keller stellen will. Nein, weil ich nicht verstehen und nachvollziehen kann, wie man sich an einem Kinderwagen stört. Oder an Fußball spielenden Kindern auf dem Rasen (wie eine andere Nachbarin im Haus). Weil ich mich frage, wie verbittert man sein muss, dass man glaubt, sein persönliches Glück hänge an einem Zettel, der von Luftreifen handelt. Oder an einem Kind, das sich über die Rasenfläche vor dem Haus freut. Und dass ich mich absolut missverstanden fühle. Wir es immer allen recht machen und ich so viel geschluckt habe, so viele “wieder ohne Mütze” – Sprüche lächelnd weggenickt habe oder mich höchstens mal bei Twitter drüber lustig gemacht habe. Wir ein schlechtes Gewissen haben, sonntags einen Nagel in die Wand zu hämmern und 300 mal am Tag sagen, Ben soll leise laufen, um die Nachbarn nicht zu verärgern. Weil wir immer freundlich waren und ertragen haben. Dafür, dass einem nun das Wort im Mund gedreht wird und einem mutwillige Boshaftigkeit unterstellt – und durchs Haus getratscht wird. Das sind Dinge, die mich wirklich richtig traurig machen.

Eine Babyforumsfreundin erzählte mir über Facebook übrigens danach, ihr Kinderwagen im Treppenhaus wird beschmissen und beschmutzt mit Müll, Kaugummi, Staubsaugerbeutel, drauf gerotzt (sorry) wird. Es scheint also kein einzelnes Phänomen zu sein, wie ekelhaft Menschen sein können, an einem Kinderwagen gemessen, der nun wirklich niemandem etwas tut. Was wollen sie damit erreichen? Was haben sie davon, wenn ein Kinderwagen dann plötzlich wo anders steht / weg ist? Sind sie dann glücklicher? Meine einzige Genugtuuung ist: Sind sie nicht. Werden sie auch nie sein. Er wird nun verschwinden und ich werde an alte Zeiten denken. Wie stolz ich war!

Wieso ich nun also einen Roman geschrieben habe über blöde Nachbarn, wie jeder sie kennt und schonmal erlebt hat? Weil ich wütend bin, stinkwütend, und das hier (mein) Platz dafür ist, zu erzählen, was man sich täglich so neben Kleinkind, Job und Leben so zu Gemüte führen muss, ganz einfach. Vielleicht sollte sie das direkt abbekommen, aber sie würde es nicht annähernd verstehen. Sie fühlt sich ja total im Recht. Nein, heute habe ich auch kein lustiges Ende, keinen locker-flockigen Spruch, dass bestimmt alles von weiter weg her lustiger wirkt, heute bin ich nur sauer. Auch auf mich, über meine ewige Freundlichkeit und Gutmütigkeit und dass sie wieder einmal genau gar nichts half, all diese Spitzen und Sprüche zu ertragen. Gar nichts, außer, dass sie noch ausgenutzt wird und es sowieso niemals allen recht gemacht werden kann. Und hoffen, dass ich nie, nie, niemals so ein ekliger, verbitterter, humorloser und rechtsdrehender Kauz werde.

 

 

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Filed Under: Alltag, Ärger, Erlebnisse, Gedanken

Stimmen im Wind

24/01

1985 erschien ein Lied. Das lief im Radio immer wieder mal wieder, und klein Michelle war gerade mal 2 Jahre alt. Ich erinnere mich, dass ich bei meinen Großeltern war, immer wenn das Lied kam. Einmal im Esszimmer, das damals noch ganz hell erleuchtet und immer voller Leben war, wenn ich dort gewesen bin, um mich herum war immer Trubel und meine Oma kochte, und ich spielte munter vor mich hin. Und einmal lief das Lied im Wohnmobil auf einer Kurzreise. Da kam das Lied im Radio während mein Opa gerade tankte und mir das Radio anließ. Ich bin schier ausgeflippt weil ich das Lied so mochte, aber konnte leider den Knopf am Radio nicht finden, der das Lied dann nochmal spielte. Und so richtig sagen konnte ich auch keinem, wie das Lied heißt, nur ein kleines bisschen mitsingen. Und so ist es ganz bald in Vergessenheit geraten. Lange, lange Zeit, denn wer erinnert sich schon an Lieder, die man als Kind mal mochte oder so, naja, da gibt es doch wichtigeres, neue Lieder, Kinderlieder die man dann mitsingen konnte oder der Kindergarten und das Wachsen und all das – und so wichtig war das Lied ja auch nie. Es hängt nur die Erinnerung an das Esszimmer, das heute etwas düsterer und ruhiger ist und nicht mehr so nach Putzmittel und Rinderbraten riecht, sondern staubig und alt wirkt, und an das Wohnmobil, das längst auf irgendeinem Schrottplatz vor sich hin rostet, daran.

Vor einigen Jahren fiel mir dann anhand eines anderen Liedes wieder eine Textzeile ein, als ich mit meiner besten Freundin mal über alte Zeiten und Die Musik unserer Kindheit sprach. Da gab es zum Beispiel “Joana give me hope”, bei dem ich als Kind immer “Joana heb mich hoch – bevor die Moni kommt” verstand, da war ich vielleicht 4 oder 5, und die ganze Familie rief mich immer zum mitsingen und lag dann lachend auf dem Boden, was ich ganz und gar nicht verstehen konnte. Einmal wurde ich sogar abends aus dem Bett geholt, als Besuch da war, und durfte mit Decke in der Hand zu dem Lied im Radio mitsingen. Und dann war da noch ein Lied, da kam wahrscheinlich immer “on and on […] back to me” drin vor, und ich sang immer fröhlich “ohne Bohn… Melanie” mit. Ja, ich hab mich auch ein wenig gewundert, aber ansich mochte ich das doch unheimlich gern, das Bohnenlied. Leider kann ich heute so gar nicht mehr herausfinden, wie das heißt. Vielleicht stolpere ich mal wieder drüber. Ich meine, es müsste heißen “on and on, kissing you for memory (???) … wishing you come back to me” oder sowas. Vielleicht war es auch Whitney Houston oder so. Na ganz egal. Mir fiel bei meiner Freundin damals, vor 7 oder 8 Jahren, eine Textzeile ein. Ein Hoch auf Google, ich fand mein altes Lied, von dem irgendwie keiner so recht wusste, dass ich es so mochte.

Was ich aber eigentlich sagen wollte, ehe die Erinnerung an die Marmorwendeltreppe meiner Großeltern, auf der es sich so super spielen ließ, mit mir durchging: Gerade eben lief doch tatsächlich in meiner “ich hör mal wieder alles durch was ich so habe und sortiere mal mein Archiv aus” – Playlist “Stimmen im Wind” von Juliane Werding, was seit meinem Fund damals sein Dasein auf meinen Festplatten fristete. Und plötzlich lief es hier zwischen Kundenfotos brennen und Legosteine aufsammeln – und promt saß ich plötzlich wieder im hellen Esszimmer der Großeltern und meine Oma kann noch laufen und fährt einen roten Golf mit einem “ein Herz für Kinder” Aufkleber auf der Heckscheibe, den ich immer besonders schick fand, und kurz danach saß ich im braun-beigefarben eingerichteten Wohnmobil, wo ich mich nach einer langen Fahrt in die Berge dann abends mit meiner hellblauen Spieluhr (den Text ihres Liedes fand ich ja als Kind sehr beängstigend, aber das ist ein anderes Thema!) ins Bett kuschelte. Ein bisschen kommt es mir vor, als sei ich selbst ein Geist, der dann in der Vergangenheit ist und sich selbst sieht. Klingt total abgedreht, keine Sorge, ich sag ja auch nur “ein bisschen”.

Ist es nicht seltsam, an was man sich – und anhand von was man sich erinnert? Ich habe vor einiger Zeit schonmal aufgeschrieben, dass ich das Gefühl habe, dass mein Erinnerungsvermögens ziemlich viel Platz im Hirn einnimmt. Manchmal weiß ich nicht, wieso ich gerade in die Küche lief (okay, das kennt wohl jeder), aber wo ich saß, als Tschernobyl war, und wie mich meine Mutter panisch ins Haus geholt hat, oder wie mein Laufstallpolster aussah und meine Krabbeldecke, das weiß ich noch haargenau. Und davon gibt es nichtmal Fotos. Oder Erzählungen. Auch wenn viele sagen, Quatsch, das geht gar nicht dass du dich erinnerst. Ich kanns.

Auf jeden Fall musste ich bei der Erinnerung in dem Lied daran denken, ob es meinem Sohn wohl mal genauso gehen wird, und ob das, was heute passiert, wie sein Umfeld aussieht und was wir zusammen erleben, auch ganz klar in seiner Erinnerung sein wird. Und ob er dann vielleicht auch solche Lieder hat, die ihn zurückversetzen in die Zeit heute. Okay, Jimmy eat world – lucky denver mint mag er ziemlich gerne und summt er er immer fleißig mit, aber wer weiß das schon, ob es nicht andere Dinge sind, an die er sich erinnern wird. Ich hoffe, es sind schöne Dinge, vielleicht sind sie genauso unwichtig wie die Krabbeldeckenmuster oder Puffreistassen aus meiner Erinnerung, aber dennoch mit einem Gefühl verbunden, dass diese Zeit ganz wunderbar schön war.

Das sollten wir uns so oft ins Gedächtnis rufen, gerade, wenn wir genervt sind oder gestresst und irgendwas zu Bruch ging, was vielleicht ganz wichtig war: Unsere Kinder erinnern sich als Erwachsene vielleicht nicht mehr an Gespräche aus ihrer Kindheit, wohl aber an so viele Gefühle, ans mulmig – sein, wenn man was angestellt hat, aber auch an die Freude und hoffentlich am allermeisten, dass sie unbekümmert Kinder sein konnten und das ohne Angst und Unbehagen, damals. Heute.

So. Tränchen aus den Augenwinkeln wischen.

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Filed Under: Erziehung, Gedanken Tagged: Erinnerungen

Wasserflaschengestänker

25/07

Ich war heute bei ALDI.
An der Kasse, ein paar Leute vor mir, schoben zwei junge Frauen einen Einkaufswagen voller Wasserflaschen. Die beiden waren fröhlich, lustig und freundlich. Die Kassiererin hatte keinen großen Aufwand, sie musste nur 24×6 Flaschen Wasser eintippen, dann noch eine Wassermelone und ein paar kleine Wasserfläschchen und fertig.
Hinter mir in der Schlange stand ein älteres sehr altes Ehepaar. Sie fingen an zu spekulieren:
“Sicher grillen die am Wochenende. Aber selbst wenn man 2 mal grillt, so viel Wasser braucht doch kein Mensch. Das wird dann sicher nur weggeschüttet.” – “ja, viel zu viel zum Grillen und ganz unerhört ist das. Also unmöglich. Was wollen die denn auch mit dem ganzen Wasser. Dass die das überhaupt mitnehmen dürfen.” – “Stimmt, haushaltsübliche Mengen sind das nicht mehr. Dass die das dulden? Na mal sehen, vielleicht sagt die an der Kasse ja auch was. Und dann müssen sie es stehen lassen.” – “ja, und wenn die ne Gaststätte haben.. Ach, bestimmt haben die eine. Aber selbst dann ist es unerhört! Dann kann man ja auch bei METRO einkaufen, aber hier bei ALDI dann die Billigsachen kaufen für ein Restaurant? Und für viel Geld verkaufen dann. Das ist echt frech!” – “ja, und wenn de jetzt grillen oder eine Feier haben, mit 50 Leuten, dann trinkt jeder nur eine halbe Flasche von dem Wasser und den Rest schütten sie dann weg. Das muss doch echt nicht sein!!!” – “Guck mal, die kriegen das ja auch nie ins Auto. Und schieben kann man den Wagen auch nicht mehr. Also echt mal.”

ich denke mir, vielleicht haben die beiden in ihrer WG sonst kein Auto und wohnen auf dem Land? Vielleicht arbeiten sie, wie ich damals, in einer sozialen Einrichtung und müssen für ihre Betreuten den Monatseinkauf erledigen? Damals wurde ich auch schon angegangen wie ich meinen Wochenendeinkauf denn an einem Montagmorgen erledigen muss, wo es andere Leute eilig haben. Dabei war ich dienstlich unterwegs… (und selbst wenn nicht, was geht das die Leute an?)

So drehe ich mich um, sage “lassen sie die beiden Frauen doch einfach oder fragen sie, wozu sie das brauchen!?“
Die beiden schauen schnell weg, reißen die Augen auf, ignorieren mich, schauen sich an…  (denn direkt ansprechen ist scheiße, man muss immer so stänkern, dass es die betroffenen nicht mitbekommen.) und legen weiter los.

“siehst du!!! jetzt ist die eine Flasche runtergefallen. HAHA! Ich hab’s ja gesagt. Habs mir noch gedacht. Das geht doch auch nicht in den Wagen. Der ist ja schon voll. UNERHÖRT!” Die beiden Wassertäterinnen bezahlen und schieben den Wagen zu ihrem Auto, das gut sichtbar von der Kassenschlange (da waren dann noch 2 Leute vor mir) am Fenster hinter der Kasse stand.
“siehst du, siehst du!!! So ein kleines Auto! Total überladen! Die Polizei sollte man rufen!!!” – “achwas, die kriegen eh nicht alles rein.” – “Ja und was machen sie dann? Es einach stehen lassen? Ne, die sollen gefälligst zu METRO gehen. Ich finde das unmöglich. nee, ne!”

Ich wusste wirklich nicht – und das passiert mir nicht oft – ob ich lachen oder heulen soll. Ignorieren kann ich nicht, so lange Menschen über andere herziehen, statt diese direkt anzusprechen. Das geht mir auch in einem anderen Laden oft so, wenn gestänkert wird wieso die Kassiererin nicht eine weitere Kasse auf machen lässt, statt dass man hin geht und freundlich fragt, ob man noch eine Kasse öffnen könnte…

Und mir ging so viel durch den Kopf, denn es passt so gut auf alles, was man so täglich erlebt, und ganz besonders hier aufs Internet bezogen:

Wieso um alles in der Welt kann man die Leute nicht einfach mal machen lassen, was und wie sie wollen? Solange sie keinem dadurch schaden?
Um mal zurück aufs Blogthema zu kommen:
Sicher kann man sich ab und an mal denken, Boa, das hätt’ ich nicht gemacht. Das hätt’ ich nicht gekauft, das finde ich nicht schön, das ist übertrieben und das finde ich hier fehl am Platz. Sicher, das macht jeder mal. Beim einen mehr, beim anderen weniger. Aber muss man denn gleich die Leute verurteilen, beurteilen?

Ich habe auch Freunde / Familie gehabt, die einen Gehfrei haben, auch wenn ichs schlecht finde und nicht nutzen würde. Ich habe nicht gestänkert. Ich hab sie machen lassen. Ich habe Freunde, die mit 4 Monaten mit Beikost anfingen. Ich hab sie machen lassen, auch wenn ichs anders gemacht habe. Ich habe Freunde, deren Frisur ich nicht tragen würde. Eine Freundin geht arbeiten, wenn ihre Tochter 9 Monate alt ist. Ich hätte es nicht gewollt und gekonnt, aber dennoch mag ich sie sehr gerne und wünsche ihr nur das Beste. Ich versuche sie und andere nicht den ganzen Tag zu bekehren, denn zu ihr und ihrer Situation passt ihre Entscheidung.
Andere wollen keine 3 Jahre zuhause bleiben. Nicht ins Babyschwimmen. Kein privates Zeug ins Internet schreiben. Keinen Urlaub mit Wohnmobil, Ist ja auch meine Entscheidung.
Ich habe auch Menschen, die ich bei Twitter oder Instagram gerne verfolge und lese, die einiges anders machen als ich. Die gehen arbeiten, oder die Kinder sind in KiTas oder sie lassen ihre Kinder kein Fleisch essen oder wasweiß ich. Bloß weil jemand anders entscheidet als ich oder mal Dinge macht, die ich nicht gut finde, heißt das doch nicht, dass ich diese Menschen gleich weniger mag.
Von außen betrachtet ist es immer so leicht zu verurteilen, wenn man die Geschichten hinter den Menschen und vermeintlich eigenartigen Entscheidungen nicht kennt oder sie einem – wie bei den alten Menschen – gar nicht erst hören will. Es kann durchaus vorkommen, dass man ein Verhalten oder eine Entscheidung doof findet, den Menschen dennoch mag. Irre, was? 

Aber jeder entscheidet doch für sich und sein Leben, für seine Wasserflaschen und sein Kind und seine verdammten 24 Sixpacks Wasser, warum und wofür und wann und wo er sie braucht, und die anderen geht das schlicht einen feuchten Keks an…

Die Welt wäre so viel einfacher.

Posted by kamikazefliege 16 Comments
Filed Under: Alltag, Gedanken, Gesellschaft

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