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Kamikazefliege

Kindergartenfotografie – oder “spektakulär-zauberhafte high-end-fine-art-Dumpingpreisfotos mit glitzerndem Einhornstaub, die alle glücklich machen sollen”

16/07

Mein Sohn kommt erst im September in den Kindergarten. Für mich steht jetzt schon fest: Ich werde sicherlich niemals Kindergartenfotos da anbieten, wo mein Sohn täglich hin geht. Und auch so: Ich werde wohl keine Kindergartenfotos mehr anbieten. Wie es dazu kam und was ihr Eltern von Kindergartenfotografen wissen solltet, wie die andere Seite aussieht und wie es mir erging, habe ich Euch hier aufgeschrieben.

 Mein erstes Mal als Kindergartenfotografin

Wie ihr vielleicht wisst, bin ich seit 2008 nebenberuflich als Fotografin selbständig. Nun in der Elternzeit konzentrierte ich mich nur noch auf die Fotografie und wage ab September den Schritt in die komplette Selbständigkeit als Fotografin. Ich fotografiere Babys, Kinder, Familien, Schwangere, Hochzeiten und alles, was da vielleicht nicht ganz hineinpasst. Ich freue mich über neue Ideen und schrecke auch vor neuen Herausforderungen selten zurück.

Es gibt also für alles ein erstes Mal. Eine Kundin trat an mich heran, ob ich nicht auch Kindergartenfotografie anbieten würde. Ich überlegte, kalkulierte, erstellte ein Angebot und dachte. Klar, wer Kinder mag, muss Kindergärten lieben, also, los geht’s! Ich setzte mich unter Mitbewerbern durch – und freute mich. Natürliche Kindergartenfotografie bot ich an, ich wies auf meinen Stil hin und der Elternbeirat mochte mich. Mit viel Liebe zum Detail plante ich das Fotografieren im Kindergarten, erstellte mit meinem Mann zusammen nächtelang geeignete Mappen, verglich USB – Sticks und Preise, druckte Infoblätter, schrieb Texte für Beileger und Briefe an die Eltern, schaute mir zuvor die hübsche Wiese hinterm Kindergarten mit dem Kirschbäumchen an, und platzierte in Gedanken schon die Kinder auf dem hohen Gras. Ich wollte es richtig machen, und richtig schön.

 

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Akzeptiere die Gegebenheiten – und stecke noch mehr Liebe ins Detail

Als ich dann zum Termin kam, fand ich statt der saftigen hohen Wiese leider ein abgemähtes Stoppelfeld vor und ich war sehr froh, im Auto noch meinen kleinen Kinderstuhl sowie mein Kinder-Zelt zu haben, womit ich aus der braunen Wieso noch irgendwas machen konnte. Natürlich hin oder her – das hätte einfach nur trostlos ausgesehen, finde ich. Das Fotografieren war wie erwartet anstrengend, weil warm, aber  es machte Spaß, all die netten Kinder, kaum eines, das sich schwer tat oder nicht nach ein bisschen erzählen warm wurde. Es lief soweit reibungslos. Hier und da wollte mal ein Kind nicht lächeln, aber mit ein paar gezielten Fragen war das meist auch okay. Ein Kind länger zu “quälen” wollte ich aber auch nicht, und ich selbst will auch nicht auf Kommando lachen. Manche Erzieherinnen wollten sich schließlich auch nicht fotografieren lassen. Dann muss das von Kindern auch nicht erwarten. Ich verbrachte Abende mit dem Bearbeiten, Bestellen, Sortieren der Kinder in die Mappen, mit dem Zuordnen von Gesichtern zu Gruppenbildern, steckte wie immer (zu viel!) Liebe ins Detail, bis ich die Bilder dann stolz im Kindergarten abgab. Die Erzieher pickten zunächst ihre eigenen Fotos heraus und sagten dann, sie schauen später durch bzw sagen dann in den nächsten Tagen den Eltern Bescheid. Was sie von den Fotos hielten, sagte man mir leider nicht.

Erstes Feedback und Kindergarten-Flurfunk

Ich hatte später Anrufe und Nachrichten und Bestellungen für USB Sticks von sehr lieben Mamas, die begeistert von den Bildern waren. Darüber habe ich mich sehr gefreut. Aber es gab eben auch die andere Seite. Ich habe ja einige Bekannte hier und dort im Kindergarten sitzen, da bekommt man schon einiges mit, obwohl ausdrücklich in den Mappen steht, dass man mich zu Fragen / Kritik kontaktieren soll sind das natürlich nur Aussagen, die man über den Kindergarten-Flurfunk “hintenrum” mitbekommt. Manchen gefiel mein Stil nicht, der Hintergrund sei zu unscharf, die Köpfe abgeschnitten (übersetzt heißt das wohl, dass ich Gesichter angeschnitten habe, was eine Frage des Stils und der Bildwirkung ist, aber ich muss mich diesbezüglich ja nicht rechtfertigen, die einen mögen’s, die anderen nun mal nicht) – oder die Farben zu warm.

Kinderfotografie Bruchsal

Kinderfotos sind erstrecht mit angeschnittenem Kopf, unperfekter Frisur und unscharfem Hintergrund reizvoll. Finde ich. Und eine handvoll andere Eltern. Aber eben nicht alle.

Natürlich ja, aber bitte lachend und in gewohnter Iphone-alles-scharf-Qualität.

Tja, was soll ich da sagen? Es ist klar, dass man es nicht allen recht machen kann, aber schade, dass man beim eigenen Geschmack eben oft nicht verstehen kann, dass es anderen gefallen könnte. Es ist einfach unmöglich, 72 (?) Elternpaare zufrieden zu stellen. Wer natürliche Bilder möchte, sollte keine Studioaufnahmen mit Blende 11 erwarten. Klar, jeder erwartet und sieht unter einem Begriff etwas anderes. Das kann ja irgendwie auch nur schiefgehen, bei aller Liebe zum Detail und für herzige Kindergesichter, die ich auch grummelnd oder skeptisch hübsch fand, und auch von den Erzieherinnen hörte: Genau so ist er / sie eben! Und ich persönlich shee mein Kind am liebsten so, wie es ist… Und nicht wie ein Werbemodel für Zahnpasta. Aber auch hier sind Erwartungen und Möglichkeiten eben zwei unterschiedliche Dinge. Am meisten geschimpft oder unglücklich waren leider die Eltern, für die ich extra viel Zeit investiert habe. Weil nicht alle Fotos dabei waren. (wie gesagt, es gab die Option, den USB Stick zu kaufen. Manche bekamen 1-2 Bilder mehr, weil ich sie kannte, oder sie mir Nachmittags ein Eis brachten oder die Kinder so lieb waren, aber da wurde natürlich auch gemeckert, wenn man eben KEIN Geschenk bekommen hat. Also bleibt gar keine andere Möglichkeit, als dass ich es falsch mache.

  • Mama XY ein Bild mehr als ich für denselben Preis! (dass ich nicht schenken soll habe ich durch meine Fotoaktion also leider auch gelernt.).
  • Die Geschwistermappe ist zu günstig, das ist unfair. (das ist nämlich auch nicht okay. zu günstig ist doof und zu teuer auch. Dass ich nicht wollte, dass Eltern mit mehreren Kindern 100€ bezahlen mussten, ist scheinbar auch ein Fehler gewesen.)
  • Wieso sitzt das Kind auf einem Stuhl, wo es doch natürliche Bilder sein sollten? (Weil ich den, der den Rasen gemäht hat, leider nicht ausfindig machen konnte, um ihn als Requisit zu benutzen.)
  • Es wurden so viele Bilder gemacht aber es sind nur 2 in der Mappe! (weil man die restlichen dazu kaufen konnte, wie ich mehrfach geschrieben habe.)
  • Wieso lacht mein Kind nicht? (weil ich eine fremde Frau bin und es auch mit Hilfe der Erzieherinnen, die leider auch nicht die ganze Zeit dabei waren,  einfach nicht sein sollte. Und weil ich Kinder ungern zu etwas zwinge… Oder weil ich versucht habe, ihnen mit Fragen zur Lieblingssüßigkeit oder Lieblingsspielzeug eine fröhliche Antwort mit Lächeln zu entlocken, die aber stattdessen unreflektiert von den davorstehenden Eltern beantwortet wurde….)
  • Das Bild ist zu hell / zu dunkel / zu sonnig / zu groß / zu klein
  • Die Köpfe sind ja abgeschnitten! (wer sich mit meinem Stil befasst hat oder gar vorab die Chance wahrnahm und sich durch meine Galerie klickte, sieht, dass ich andauernd Köpfe AN(!)schneide, was etwas mit Bildwirkung, Schnitt und Stil zu tun hat. Ich bin müde, es zu erklären, vor allem wenn es mit nachfolgender Aussage zusammentrifft).
  • Die Härte fand ich allerdings: Wieso ist der Hintergrund so unscharf? Dazu muss ich gar nicht erst was sagen, aber das sagte mir halt schon alles.Nächstes Mal mit der Iphonekamera bekomme ich bestimmt alles scharf.

Dieses Feedback erreichte mich übrigens einen Tag, nachdem ich beim Contest der Vereinigung deutschsprachiger Kinderfotografen 2x in den Top 10 und 1x in den Top 20 platziert wurde. Ganz so schlimm scheint es also doch nicht um meine Arbeit bestellt sein. Nicht, dass ich daran gezweifelt hätte, aber natürlich macht so ein Gerede schon traurig, gerade wenn man so viel Leidenschaft hineingesteckt hat.

Kinderfotografie Bruchsal

Mein Sohn darf als Beispielbild herhalten. Auch er lacht nicht und niemals auf Kommando. Und aufgeschlagene Knie hat er auf dem Foto auch noch. Dabei müssen Kinder doch scheinbar immer perfekt sein!

Nächstes Mal wird alles besser, vielleicht verschenke ich dann Bobbycars.

Tja, was soll ich sagen? Nein, ich hatte ja auch einige positive Rückmeldungen. Also prinzipiell erreichten mich persönlich NUR die positiven Nachrichten, die mich sehr gefreut haben. Aber man befasst sich natürlich in erster Linie mit dem Negativen. Nächstes Mal vielleicht einen Kontaktabzug dazu legen mit den Bildern, die ich pro Kind noch habe. Das sind für mich in dem Fall aber auch 75 Drucke mehr, die ich preislich wieder aufschlagen muss. Und schon bin ich wieder “viel zu teuer”. Nächstes Mal, nächstes Mal. Ich habe überlegt, wieso eigentlich? Wieso tue ich mir das an? Es ist klar, dass ich es nicht allen recht machen kann, und genau das will ich nicht.

Es ist doch so: Eltern, die ihre Kinder normalerweise von mit fotografieren lassen, zahlen gerne (!) das 10-fache. Nicht weil ich so irre teuer bin, sondern weil der Kindergarten so irre billig war. Denn das ist ja klar, genommen wird nur der Fotograf, der spottbillig ist, und dazu auch noch traumhafte Bilder anbietet. Oder wie bei einer Freundin im Ort den Kindergarten illegaler Weise auch noch mit Geschenken besticht (ein Bobbycar für die Einrichtung! Wie schäbig ist das denn!!!). Jedenfalls: Kunden, die mich für “große” Shootings buchen, beschweren sich nie, dass ich zu lang, zu kurz, zu komische Posen oder sonst was von ihnen wollte. Für die nehme ich mir Zeit, die es braucht, ihre Kinder natürlich zu erwischen. In Ruhe. Ohne andere oder gar wartende / tratschende Eltern vor ihnen, sondern ausgelassen und spielend, fröhlich und nicht mit dem Kommando “lach doch bitte, bitte mal, dann gibt’s auch ein Eis”. Kinder sind keine Maschinen und ein ehrliches Lachen kann man nicht erzwingen. Schon gar nicht, wenn man 80 Kinder an 2 Tagen durchfotografiert und eben keine halbe Stunde pro Kind Zeit hat. Auch wenn die Fotografin das im Jahr zuvor wohl so gemacht hat – dann hätte ich andere Preise berechnen müssen, und wieder andere Eltern mit weniger Geld oder mehr Kindern dadurch benachteiligt. Ihr seht, ich bin zum Entschluss gekommen, dass man es nicht richtig machen kann.

Die Eltern, die zu mir kommen, weil sie MICH, meinen STIL und meine Bilder wollen, die zahlen den vollen Preis und sind danach immer (!) zufrieden, weil sie sich vorab mit mir und meiner Arbeit befasst haben, Bilder angesehen haben, meinen Stil kennenlernen wollten. Wieso also sollte ich mich künftig weiterhin wieder vor fremde Kinder knien, deren Eltern das vielleicht gar nicht so wollen, bei 35 Grad im Schatten, sie Spaghettiiii sagen lassen, damit die Eltern die Grinse Bilder bekommen die sie erwarten, so sehr ich auch “natürlich” auf meine Flaggen schreibe und überhaupt keine Kommandos zum Lachen geben möchte?

Natürliche Kinderfotos und Kindergarten – in meinen Augen ist das nicht vereinbar

Natürliche Kinderfotografie und Kindergartenfotografie lassen sich nicht vereinen. Und es lassen sich nicht alle Eltern mit einem Stil zufrieden stellen. Eben. Es ist halt, wie bei allem auf der Welt, Geschmackssache. So wie ich keine Bilder vor blaumarmorierten Hintergrundstoffen anbiete, so gefällt das aber halt dem einen oder anderen. Was das mit den einzelnen macht, wenn man seinen persönlichen Geschmack als “gut” und alles darum herum als “schlecht” ansieht, ahnen wohl nur die wenigsten.

Ich habe anschließend einen weiteren Kindergarten fotografiert, dieses Mal bei 39 Grad im Schatten 😉 Die Organisation lief durch die Leitung und nicht den Elternbeirat, ich hatte das Gefühl (das kann mich ja auch täuschen, aber so war es eben!), alle freuten sich ein bisschen mehr auf die Bilder, von Kindern bis zu den Erzieherinnen, die es zum Teil kaum erwarten konnten fotografiert zu werden. Die Bilder habe ich nun erst ganz frisch abgegeben und die Resonanz wird mich erst in den nächsten Tagen treffen. Die Erzieherinnen schienen jedoch mit dem Ergebnis zufrieden und ich hörte nicht nur einmal “ganz anders, aber toll!”. Was die Eltern zu sagen haben, werde ich erst in den kommenden Tagen sehen.

Aber für mich steht leider so oder so schon fest: Ich biete wohl keine Kindergartenfotografie mehr an. Es war ein Versuch und ich finde, ich habe das richtig gut gemacht, aber es tut mir nicht gut. Wie man es macht, bleibt irgendjemand auf der Strecke – für die einen der Stil, für die anderen der Preis, für wieder andere der Hintergrund oder fehlende Klebebildchen und Schlüsselanhänger-Gimmicks, die es bei mir nunmal niemals geben wird, weil ich von diesem Kitsch eben nichts halte.

Und für Euch, liebe Eltern?

Ich kann nur an alle Eltern apellieren: Fragt vielleicht erstmal den Fotografen nach dem, was dahintersteckt, wenn ihr mit etwas unzufrieden seid. Nutzt die Gelegenheit, ihm persönlich zu sagen, was euch nicht gefällt, damit er es besser machen kann, anstatt nur zu tratschen. Habt Verständnis und erwartet keine eierlegende Wollmilchsau oder durch eine Fremde erstellte, natürlich aber schön herzlich lachende Fotos eines fremdelnden 3 jährigen in 2 Minuten für unter 10€, dazu Geschenke, aber nur für die richtigen Personen, eine kühle Brise und keine Sonne – das geht nämlich schlichtweg nicht, auch wenn sich der Fotograf sicher bemüht hat, Euch alle glücklich zu machen. Bucht lieber ein entspanntes Familienshooting im Freien, meinetwegen auch im Studio bei einem Fotografen, dessen Stil Euch anspricht und dessen Bilder Euch gefallen, anstatt unzufrieden irgendwelche Mappen mit Blumentöpfen (gibts wohl wirklich, hab ich mir erzählen lassen) oder Schlüsselanhängerchen zu kaufen, die Euch als gratis-Geschenk versprochen werden, in Wirklichkeit aber nichts weiter als Werbemaßnahmen sind… Besprecht im Elternbeirat oder mit der Leitung Eure Wünsche und Ideen, aber bleibt auf dem Boden der Tatsachen und schiebt niemandem ie Schuld in die Schuhe, dass Eure Kinder nicht auf Knopfdruck natürlich lachen können. Ihr könnt das auch nicht!

 

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Filed Under: Erlebnisse, erste Male, fotos, Kamikazefliege, Kindergarten

Übergriffigkeit.

13/03

Wir haben da eine Nachbarin. Also, wir haben mehrere, denn in unserem Haus wohnen 20 Parteien, denn wir genießen nicht den Luxus eines Einfamilienhauses mit Garten und Schnickschnack, auch wenn man sich als Mutter, die 3 Jahre zuhause bleibt, anhören muss, dass man ja Geld wie Heu haben muss.

Wie auch immer, die Nachbarin. Als Ben ein Baby war und wir frisch vom Krankenhaus heim kamen, lud sie uns auf einen Schnaps ein. (Und zwar diese Art Zwangseinladung, die man nicht abschlagen kann, auch wenn man wirklich nichts lieber täte, als nach Hause zu gehen!). Eine Karte zur Geburt hatte sie auch besorgt, den Namen sollten wir aber selbst eintragen, weil sie den nicht wusste oder ihre Augen zu trocken waren oder ihr Mann seit 20 Jahren tot ist, irgendwas in der Art jedenfalls, ich kann die Geschichten leider nicht mehr auseinanderhalten, weil sie diese immer und immer wieder erwähnt. Tut mir ja auch leid, und zu einsamen alten Menschen ist man freundlich, da hört man zu. Ich jedenfalls und mein Mann auch, denn wir sind nett und wollen es allen recht machen, was auch eher eine ziemlich anstrengende Angewohnheit sein kann. Wünschen würde ich es mir jedenfalls manchmal ein bisschen anders. Bei diesem Zwangsschnaps fragten wir übrigens auch, ob wir unseren Kinderwagen da abstellen können. Denn zu unserer Wohnung gibt es nochmal einige weitere Stufen, und so mussten wir mit dem, Wagen nur aus dem Aufzug heraus. Sie sagte: Kein Problem, aber die Frau G. nebenan, DIE beklagt sich bestimmt, und die Frau S., da ist die Tochter mal über eine Pflanze gefallen beim Licht anmachen und deswegen hat DIE bestimmt was dagegen. Für SIE sei das in Ordnung. Beide weiteren Nachbarn hatten kein Problem mit dem Kinderwagen (wie zu erwarten war!).

In der Zwischenzeit traf ich besagte Nachbarin vor der Tür, ein paar mal. Immer wieder durfte ich kleine Spitzen hören, die beliebteste war: “Und wieeeeder ohne Miiiieetzääää!!!” (Das soll Mütze heißen. Fragt Sie Menschen mit diesem Dialekt mal nach einer Tüte. Viel Spaß!). 12 Grad, Weg von Auto ins Haus. Ohne Mütze. 15 Grad, Kind riss sich im Auto die Mütze vom Kopf, keine Sekunde später quetscht sich die Nachbarin ans Fenster, wedelt tadelnd mit dem Zeigefinger. Wieder ohne Mütze. Dieser Spruch kam so oft, dass Mareike mir sogar einen Button mit dem Spruch “Schon wieder ohne Mütze!” bastelte. 25 Grad: jetzt habe ich es aber schon so oft gesagt, schon wieder ohne Mütze! Die Kinder frieren am Kopf! Die werden so schnell krank!!!!! Beeeeehhn, sag mal der Mama, sie ist eine Rabenmutter!!! 

Ups? Da war ich dann schon etwas pikiert, eine Rabenmutter? Ich mag Raben und sie sind bestimmt tolle Eltern, sonst gäbe es nicht so viele Raben oder sie wären lange schon ausgestorben. Zumindest essne sie ihre Eltern nicht auf, und beschimpfen keine anderen Leute. Aber allgemeingültig ist das ja nicht, was man mit der Bezeichnung so meint. Und dass ich abnehmen sollte, sagte sie schon lange vor der Schwangerschaft mal zu mir. Ich habe aber jeweils nichts gesagt, denn: Alte, einsame Menschen. Sind wir mal nett, wir wollen ja keinen Streit unter den Nachbarn. Ja, wie gesagt, ich wünsche mir, manchmal ein bisschen weniger nett sein zu können. Aber es geht hier um Mützen und nicht um “nicht aus der Haus können”.

So. Die Jahre vergingen. Unser Kinderwagen stand munter vor sich hin. Und dann, Ben war knapp über 2, sagte die Nachbarin mal: Beeeeeehhhn, brauchst du überhaupt noch eine Kinderwagen? Deine Mama hat auch noch eine andere in ihre Auto, gell? Ben antwortete nicht und ich dachte mir schon, ich weiß genau wieso sie so blöde Sachen sagt… Sie will den Wagen weg haben (warum auch immer!). Aber sie hat ja Beeeeehhhhn gefragt und nicht mich, also sagte ich nichts.Sie beklagte sich auch über die Dekoration von Frau G. an der Tür, die überhaupt nicht jahreszeitengemäß sei und was das überhaupt für Leute seien, die im Sommer noch Frühlingsdeko hängen haben.

Dieses Jahr sah ich dann immer öfter, dass die Bremse am Wagen zu war. Damals hatten wir gesagt, wir lassen die Bremse offen, damit die Nachbarin S. supertoll an den Lichtschalter kommt und sich dabei nicht den Arm bricht. Diese Idee stammte von der Nachbarin, und die Bremse sollte sowieso offen bleiben, denn den Luftreifen schadet es, wenn sie bei längerem Stehen diesem Druck ausgeliefert sind. Zumindest steht das so in der Anleitung des Wagens, und wir wollen uns dem ja nicht widersetzen oder selbst schuld sein, wenn er kaputt geht. Nun wurden sie aber täglich (!) wieder zu gemacht und wir hatten keine Ahnung von wem (könnt ihr euch beim Lesen ja schon denken, ne?). Also schrieb ich einen netten (!) Zettel: “Bitte Bremsen offen lassen, die Reifen gehen sonst kaputt. Danke.”

2 Tage später flog die Tür der Nachbarin auf. Wütend. Schwungvoll. Sie deutete mit dem Kopf auf den Zettel. Sie habe “das da” gelesen. Sie habe das aber nur manchmal gemacht als ihre große Pflanze noch da stand. Aber die steht da ja nun nicht mehr und daher sei es egal. Ich sagte, Ich wusste nicht wer das macht, vielleicht sind es ja noch andere Leute, darum habe ich das geschrieben. Okay, sie sagte, sie mache es nun ja nicht mehr. Tür ging zu.

5 Tage später klingelte es an unserer Tür. Wir waren gerade auf dem Weg irgendwohin, es war Samstag Morgen. Nachbarin stand da und fing an, auf meinen Mann einzureden. Sie könne lesen, was wir denn glauben! Wir hätten doch einfach klingeln können, und sagen dass sie das nicht machen soll! Der Zettel wird sofort weggemacht! Sie hielt uns immer für intelligente Menschen, aber sowas müsse sie sich nicht gefallen lassen! Eine Woche würde das nun da stehen! Das sei eine Unverschämtheit etc pp. Letztendlich ging es ihr darum, dass sie sich von dem Zettel persönlich angegriffen fühlte, weil er auf ihre Wohnungstür “zeigte” (er war halt da festgemacht, wo die Bremse ist!). Alle Argumente meines Mannes (ich stand sprachlos in der Küche!) redete sie zunichte, verstand sie nicht (dass wir z.B. auch nicht wussten, wer es ist, dass es auch Hausfremde Menschen machen wie die Maler neulich oder der Aufzugsrepariermann und z.B. an der Eingangstür auch steht, man soll sie schließen, und das seit vielen Jahren, obwohl es doch alle gelesen haben und sich davon auch keiner angepisst fühlt.) … Bla. Der Zettel muss weg, und überhaupt. Sie habe sich viel gefallen lassen und nichts gesagt, als der Wagen von den Handwerkern (!!!) auf ihre Loggia geschoben wurde, und als sie Kartons (zusammengefaltet) mit unserem Namen in der ALTPAPIERTONNE fand, hat sie auch geschwiegen. (und eben sagte sie noch, sie könne lesen!). Und Päckchen habe sie doch auch IMMER angenommen, aber SOWAS jetzt bringe das Fass zum Überlaufen. Und dass wir jetzt weg müssen kommentierte sie nur mit einem süffisanten “jaja, sie müssen “weg”.” (Mann und Kind standen in Jacke da. Alles klar, ja?

Wir waren fassungs- und sprachlos. Entfernten den Zettel, um ihn den Eltern zu zeigen, die ihn auch kein bisschen anstößig fanden. Thema fast gegessen, ich wollte nochmal klingeln und klarstellen, dass ich diese Aktion unfassbar fand, ihr nie was Böses wollte und vor allem, dass Karton in die Altpapiertonne gehört und es sogar drauf steht! Aber dazu kam es nicht, vorher klingelte sie nämlich bei mir an der Tür. Sie habe nun Kehrwoche, der Zettel sei ja entfernt und darum alles wieder in Ordnung. Aber sie bittet uns höflich, den Wagen in den Keller zu räumen. Ich sagte, dass ich das nicht mache, denn da würde er gestohlen werden können, wo denn nun plötzlich das Problem sei! Da sagt sie doch wirklich, Ben sei doch nun schon viel zu groß & viel zu alt für den Wagen, und ich könne ihn auch in UNSEREN Keller stellen (der hat die Größe einer Hutschachtel). Ich sagte, dass ich gerade Kunden hier habe und das nun nicht ausdiskutiere, ich aber sowieso mal noch mit ihr sprechen möchte, weil ich diese Aktion mit dem Zettel so nicht beruhen lassen werde, nun aber weiter arbeiten werde. Stellt sie den Fuß in die Tür und mault weiter rum, vor meinen Kunden. Die anderen im Haus haben auch alle gesagt, sowas müsse sie sich nicht gefallen lassen! Ich hab sie dann nochmal gebeten zu gehen, so freundlich ich noch konnte (gar nicht mehr nämlich) und die Tür zugeknallt. Irgendwann ist auch bei mir mal gut.

So, und jetzt? Ich könnte es einfach abhaken unter dummen Menschen. Die Frau ist alt und hat zu viel Zeit zum Nachdenken und man müsste Mitleid haben, dass sie sich an solchen Kleinigkeiten derart stören muss. Sie hat selbst eine Tochter und wohl schon lange vergessen, wie das damals war. Auch das ist sehr tragisch. Ich könnte mir nicht weiter Gedanken machen und den dummen Kinderwagen wegstellen, worüber wir schon lange nachdachten, weil wir ihn kaum mehr benutzen, was unsere Nachbarin aber einen feuchten Keks angeht. Und dann? Dann stößt sie sich am nächsten auf. An unserem Weihnachtskranz an der Tür z.B., den ich mitterweile eigentlich ganz witzig finde. Außerdem sehe ich es auch nicht ein, ihr ihren Willen zu geben. Sie wird händereibend auf dem Sofa sitzen und denken, sie hat was großes vollbracht. Endlich.

Das Problem ist nur, dass mich sowas fertig macht. Nicht, weil ich schluchzend in der Ecke sitze, weil ich will, dass mich alle Leute lieb haben. Oder weil ich unseren Wagen nicht in den Keller stellen will. Nein, weil ich nicht verstehen und nachvollziehen kann, wie man sich an einem Kinderwagen stört. Oder an Fußball spielenden Kindern auf dem Rasen (wie eine andere Nachbarin im Haus). Weil ich mich frage, wie verbittert man sein muss, dass man glaubt, sein persönliches Glück hänge an einem Zettel, der von Luftreifen handelt. Oder an einem Kind, das sich über die Rasenfläche vor dem Haus freut. Und dass ich mich absolut missverstanden fühle. Wir es immer allen recht machen und ich so viel geschluckt habe, so viele “wieder ohne Mütze” – Sprüche lächelnd weggenickt habe oder mich höchstens mal bei Twitter drüber lustig gemacht habe. Wir ein schlechtes Gewissen haben, sonntags einen Nagel in die Wand zu hämmern und 300 mal am Tag sagen, Ben soll leise laufen, um die Nachbarn nicht zu verärgern. Weil wir immer freundlich waren und ertragen haben. Dafür, dass einem nun das Wort im Mund gedreht wird und einem mutwillige Boshaftigkeit unterstellt – und durchs Haus getratscht wird. Das sind Dinge, die mich wirklich richtig traurig machen.

Eine Babyforumsfreundin erzählte mir über Facebook übrigens danach, ihr Kinderwagen im Treppenhaus wird beschmissen und beschmutzt mit Müll, Kaugummi, Staubsaugerbeutel, drauf gerotzt (sorry) wird. Es scheint also kein einzelnes Phänomen zu sein, wie ekelhaft Menschen sein können, an einem Kinderwagen gemessen, der nun wirklich niemandem etwas tut. Was wollen sie damit erreichen? Was haben sie davon, wenn ein Kinderwagen dann plötzlich wo anders steht / weg ist? Sind sie dann glücklicher? Meine einzige Genugtuuung ist: Sind sie nicht. Werden sie auch nie sein. Er wird nun verschwinden und ich werde an alte Zeiten denken. Wie stolz ich war!

Wieso ich nun also einen Roman geschrieben habe über blöde Nachbarn, wie jeder sie kennt und schonmal erlebt hat? Weil ich wütend bin, stinkwütend, und das hier (mein) Platz dafür ist, zu erzählen, was man sich täglich so neben Kleinkind, Job und Leben so zu Gemüte führen muss, ganz einfach. Vielleicht sollte sie das direkt abbekommen, aber sie würde es nicht annähernd verstehen. Sie fühlt sich ja total im Recht. Nein, heute habe ich auch kein lustiges Ende, keinen locker-flockigen Spruch, dass bestimmt alles von weiter weg her lustiger wirkt, heute bin ich nur sauer. Auch auf mich, über meine ewige Freundlichkeit und Gutmütigkeit und dass sie wieder einmal genau gar nichts half, all diese Spitzen und Sprüche zu ertragen. Gar nichts, außer, dass sie noch ausgenutzt wird und es sowieso niemals allen recht gemacht werden kann. Und hoffen, dass ich nie, nie, niemals so ein ekliger, verbitterter, humorloser und rechtsdrehender Kauz werde.

 

 

Posted by kamikazefliege 7 Comments
Filed Under: Alltag, Ärger, Erlebnisse, Gedanken

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