Diese Mentalität, alles schlecht zu reden und tot diskutieren zu wollen. Leute engagieren sich? “Das machen die doch eh nur, weil…” . Leute demonstrieren? “Die sind nur zu faul / die kriegen den Hals nicht voll” … Ehrlich, es kotzt mich richtig an, ich kann auch nicht mehr irgendwelche Kommentare lesen, ohne das Bedürfnis zu bekommen, den Kopf auf den Tisch zu hauen. Kinder machen Politiker drauf aufmerksam, dass hier etwas nicht stimmt und sie gerne auch noch ein bisschen was von der Erde übrig haben wollen, um selbst mal Kinder zu bekommen, ohne in einer Welt voller Müll und Naturkastrophen den Scheiß unserer egoistischen, verschwenderischen Generation aus dem Weg schaffen zu müssen (bzw. dass es schon zu spät ist, alles wieder ohne bleibende Schäden aus dem Weg zu räumen!)? Beschimpft sie ruhig weiter, dass sie bestimmt nur keinen Bock auf Schule haben, oder dass sie ihren Müll auf die Straße werfen würden, oder dass ein paar beknackte Hirnis nach Festivals nicht aufräumen, als würde das irgendwas an der Tatsache ändern, dass ihr selbst euren Lebensstil rechtfertigen wollt oder nur motzen könnt. Vielleicht einfach mal vor der eigenen Tür kehren oder sich selbst hinterfragen, statt immer nur zu wettern. Kein Wunder, haben es Parteien wie die AFD so einfach, wenn der IQ der Leute genauso rapide zu sinken scheint, wie die Kimaerwärmung voranschreitet. Nix als Parolen und Hassreden, und Idioten, die stammtischartig wiederholen, zuprosten und den Scheiß unreflektiert weitergeben, statt zu schauen, was man selbst ändern könnte, oder die Dinge positiv zu sehen, dass die nächste Generation zumindest dazu bewegt wird, mal das Hirn einzuschalten, anders als das offensichttlich zu unserer Schulzeit war…
40 Jahre Weihnachten.
Der vorletzte Kindergartentag vor Weihnachten. Ich hole das aufgeregte Kind vom Kindergarten. An der Kindergarten-Garderobe überschlägt er sich fast beim Erzählen. Er hat nämlich ein Geschenk für mich und den Papa. Und das dürfen wir auch direkt aufmachen zuhause, nicht erst an Weihnachten.
“Wegen vierzich Jahre Weihnachten!!!” ruft er.
“Wegen was?!” – “Na… *Kind rollt genervt die Augen* VIERZ-ZICH JAHRE Weihnachtääään. Mama!!!” -“Äääh… das erklärst du mir vielleicht zuhause in Ruhe nochmal richtig…” (hab’ ich was verpasst? Wissen die katholischen Kindergärten vielleicht mehr als ich?) Ben stampft und rollt noch mehr Augen (was freu’ ich mich auf die Pubertät, er hat das “theatralisch genervt sein” jetzt schon zur Vollkommenheit perfektioniert!), aber ich weiß leider noch immer nicht mehr, und versuche ihn mit Jacke anziehen abzulenken (und aus dem Kindergarten zu bugsieren). Seine Erzieherin kommt gerade aus dem Zimmer und er wiederholt lauter (denn vielleicht höre ich auch einfach nicht richtig?!) “VIERZICH JAHRE!” ich schaue die Erzieherin verzweifelt an. Er ruft zu ihr: “Das Geschehenk. Die Mama weiß das einfach nicht! Mit den Vierzich Jahre!!!” – “Du meinst die 15 Minuten Weihnachten?” – “JA! Fünfzehn Minutn! Sag’ ich ja! Mama!!!” Gut, dann habe ich es auch verstanden.
(Kennt ihr? Ist total süß!).
Ausgefallene Wünsche
“Was wünschst du dir denn zum Geburtstag?”
“Ein Benjamin Blümchen Spielzeug mit Fernbedienung und Knöpfen die bunt blinken und einem Törö-Knopf das man durch die ganze Wohnung steuern kann. Und das hat einen Rohrbruch und ein Werkzeug mit dem es alles repariert und kaputt machen kann und dann hat es eine Windel und ein Baby.”
… Ausgefallen. Und jetzt schon scheint mir der Geburtstag eine einzige Enttäuschung zu sein. Außer, das gibts wirklich. Würde mich jetzt aber auch nicht wundern.
Begegnungen
Im Flugzeug, ich sitze am Gang. eine ältere Dame auf der anderen Seite. Ich schaue eine Folge Heartland auf englisch auf dem Ipad, mit Kopfhörern. Kurz vor der Landung nehme ich die Stöpsel aus den Ohren.
Dame: “das ist sehr schön.”
ich: “ja, ein bisschen kitschig… aber ich mag es gerne.”
sie: “Sie sind die Schwiegermutter?” deutet mit dem Kopf auf meinen Mann und Sohn.
ich: *?!?* – “Nein? das ist meine Familie.”
sie: “ach und die anderen Kinder sind alle noch in Amerika, gell. Schön. Sehr schön.”
?
Nichts passiert.
Schwierig. Sehr schwieriges Thema. Ich würde gerne darüber schreiben, habe ich mir heute Vormittag auf dem Parkplatz gegenüber der “Gemeinschaftsunterkunft” (Flüchtlingsheim) gedacht, als ich bei -2 Grad mein Auto verfluchte, das erst beim 4. mal anspringen wollte. Aber ich lasse das lieber, dachte ich. Solche Artikel schlagen nämlich schnell um. Mich jedenfalls nerven sie eher, alles schon mal gelesen. Entweder sie klingen nach Selbstbeweihräuchterung (ich bin ja so gut, ich helfe, ich habe auf dem Heimweg vom Designer-Fashion-Treffen einem Flüchtling nämlich den Weg erklärt!), sie sind zu schleimig oder sie sind schon mal dagewesen.
Oder sie locken Trolle an, die mit Kommentaren ihre unreflektierte “Wahrheit” verbreiten wollen, indem sie andere verletzen und sich benehmen, wie herumkotzende, vollgesoffene Bierbauchtouristen auf Mallorca, nur eben im Internet. Ich habe zu viele Kommentare gelesen, ich weiß auch gar nicht wieso. Auch von Menschen, bei denen ich dachte, dass man sich verstehen würde. In denen bei einem Feuerwehreinsatz im Nachbarort gehofft wurde, die Flüchtlingsunterkunft dort würde “endlich niederbrennen”. Solche mit “Armes Deutschland!” und “Ist Fakt!!!” dahinter denn was soll man darauf schon sagen? Fakt! Oder solche Bildzeitungs-Weisheiten, in denen deutsche Obdachlose bemitleidet wurden und mit der Flüchtlingssituation verglichen wurden. Von denen, die auf der Straße noch keinem Obdachlosen einen Kaffee oder ein Brötchen angeboten haben, sondern schnell ihre Tasche ein bisschen fester an sich drückten und eilig weiterliefen, wenn sie einen auf der Parkbank, oder daneben sitzen sahen. Die selben Leute, die auf einen Mord unter Obdachlosen in einem unserer Parks schrieben “gut so, die saufen eh nur” und “einer weniger von den Pennern”. Solche Leute, die sich vor psychisch kranken Menschen ekeln, die ich 6 Jahre lang betreut habe, und dann aber herumposaunen, dass die Geflüchteten allesamt nur Schmarotzer seien oder pseudomoralische Bildchen teilen, auf denen steht “Liebe Frau Merkel, hier erfrieren Obdachlose und kranke, während die Fremden Smartphones besitzen, !!1einself!!”. Als würde das Geld, das in die Flüchtlingshilfe fließt, andernfalls denen (arme Kinder, arme Menschen, Rentner etc.) zugute kommen, die einen deutschen Stempel im Pass haben, wenn es keine Flüchtlinge gäbe. Ich habe geschwiegen. Nicht, weil ich nichts zu sagen hätte, sondern weil es sinnlos ist. Weil es mich verärgert, aufregt und mich ein bisschen den Glauben an Intelligenz und ein Miteinander verlieren ließen. Weil ich ein kleines bisschen verbitterter fremde Menschen betrachtete, wenn ich durch die Stadt lief. Ob der Typ da wohl einer von denen ist, die solche moralischen Abgründe im Internet von sich geben? Ich las einen Artikel einer jungen Frau, welche die Vorfälle in Köln neutral beschrieb und beschimpft wurde, einfach zu hässlich gewesen sein, um missbraucht zu werden. Geschrieben von deutschen, selbstverständlich, die Respektlosigkeit und den Sexismus der “Ausländer” anprangern. Es widert mich an, es ekelt mich.
Ich war wegen diesem ganzen Mist kurz davor mich bei Facebook zu löschen, konnte die Scheiße nicht mehr lesen und war betroffen, dass auch Menschen solche Dinge teilten, die mir einst nahe standen, während sie ihre gelangweilten Körper auf dem Sofa vom Blaumachen ausruhen, während sie D – Promis dabei zusehen, wie diese Insekten fressen oder sich über ihre Frisur Gedanken machen oder sich drüber aufregen, wenn der Nachbar samstags statt freitags die Kehrwoche erledigt hat, oder morgens beim Kindergarten quer über 3 Parkplätze mit laufendem Motor erstmal in Ruhe das Kind zur Gruppe bringen. Ja, solange haben wir noch keine ernsten Probleme, und so lange steht es uns nicht zu, über die von uns vielleicht nicht gerne gesehene Existenz anderer Gedanken zu machen in einem Land, dessen Grenzen wir nichteinmal selbst gezogen haben.
Dann wurde es Abend und ich überlegte weiter, ob ich nicht doch darüber schreiben soll, denn ganz in Ruhe ließ es mich nicht. Und jetzt schreibe ich schon viel mehr und etwas ganz anderes als das, was ich eigentlich schreiben wollte.
Am Vormittag klingelte das Telefon. Eine Sozialarbeiterin einer unserer Gemeinschaftsunterkünfte erkundigte sich, ob sie 2 Personen in mein Studio schicken kann, sie brauchen biometrische Passbilder, was es kostet und so weiter. Eigentlich biete ich das nicht an, es rentiert sich nicht und ist umständlich, und in mein Atelier sind es 10 Minuten, zur Unterkunft 2 Minuten. Ich überlegte nicht lange und bot an, schnell vorbeizukommen. Und ehrlich gesagt habe ich mich gefreut, mit dem was ich kann, auch mal irgendwas zu tun. Schnell erzählte ich das noch auf Twitter, drückte mich aber wohl auch etwas missverständlich aus, worauf ich Schmink- und Kleidungstipps erhielt, die ich ziemlich verwirrt zur Kenntnis nahm. Huh? Das beeindruckte mich doch nochmal mehr, nicht weil ich Angst hatte, sondern weil es mir die Angst vor dem Fremden anderer so bewusst machte…
Ausreichend ausgerüstet – nämlich so wie immer – wollte ich das Büro suchen, schaute mich frierend und suchend im Hof um. Niemand war da, neben dem Gebäude gab es Container, provisorische Waschräume bei Minusgraden. Es erinnerte mich ein wenig an Festivals und ich konnte mir nur schwer vorstellen, dass sich jemand so etwas antut, monatelang, für ein vielleicht besseres Leben, und das bei Minusgraden direkt an einer Hauptverkehrsstraße, aber was weiß ich schon davon. Jedenfalls nahm ich wahr, wie sauber und ordentlich der Hof aussah und schämte mich schon fast etwas über diesen Gedanken, als hätten sich auch bei mir Vorurteile angesetzt. Wie ich mich so umschaute und den Eingang zum Büro suchte, kam ein kleiner Mann um die 50 Jahre mit hellgrauem Haar und freundlichen Augen auf mich zu. Er fragte direkt mit Hand und Fuß und halbem Englisch, ob er mir helfen könne und erklärte mir den Weg zum Büro. Ich bedankte mich, und er winkte ab. Er wolle mich hinführen, weil er nicht wusste, ob er sich so gut verständlich machen konnte. Er begleitete mich zum Büro und mit einer angedeuteten Verbeugung verabschiedete er sich. Er lief wieder zurück zum Innenhof. Barfuß in Flipflops.
Das Büro befand sich im ersten Stock. Die Männer, die davor und darin warteten, schauten ernst. Keiner lungerte herum, wie man das vielleicht erwartet, keiner stürzte sich auf mich (Achtung, Ironie.). Ein Mitarbeiter stellte mir den ersten Mann vor, der ein Bild brauchte. Ein gepflegter Mann in Hemd, darüber ein Wollpullover. Er strich sich die Haare glatt, nickte mir zu und stellte sich hin. Sein Gesichtsausdruck war perfekt biometrisch – ich musste nichts sagen, nichts tun außer den Auslöser zu drücken. Er war ausdruckslos an dieser weißen Wand gestanden, ließ es über sich ergehen, ich zeigte ihm das Bild, er nickte, strich sich über die Haare, ich sagte, die seien okay. Ich kenne das von meinen Kunden, die das Bild sehen und kichern, sagen, es sei ein verbrecherfoto, ob sie nicht doch lächeln dürfen, wie schlimm sie aussehen, und so weiter. Dieser Mann nickte ein Biometrie-Nicken, sagte, er holt nun den anderen Mann und ging. barfuß, in Flipflops. Ich überlegte, was er wohl war. Was er hinter sich hat, er sah so gepflegt aus, er erinnerte mich an einen Arzt, den ich flüchtig kannte. Inzwischen kam die junge, fröhliche Sozialarbeiterin, mit der ich telefoniert hatte. Sie bedankte sich tausendmal und wir unterhielten und über die bittere Kälte, und dass die beiden Männer Pässe brauchen, afghanische, weil sie zurück wollen. Die Sozialarbeiterin schaute kurz besorgt aus. Oder traurig. Während weitere Bewohner der Unterkunft im Nebenraum mit einem Mitarbeiter über ein Formular sprachen und es sich gegenseitig übersetzten. Ich fotografierte den zweiten Mann, und ging wieder. Das wars. Nichts ist passiert. Keine Auseinandersetzungen, kein Sexismus, ich wurde nicht bestohlen, ich sah keine tränenrührenden Szenen, kein Elend, keine Verzweiflung, nur freundliche Menschen, dankbare Mitarbeiter und nackte Füße in Flipflops und Sandalen.
Anschließend war ich im Supermarkt direkt daneben. Man erkannte die Einwohner der Unterkunft an den (offenen) Schuhen. Ich machte mir Gedanken über Fischstäbchensorten und ob es wohl in Afghanistan auch solche Supermärkte mit verschiedenen Fischstäbchensorten gibt. Und was einen Mann dazu bewegen muss, eine unsichere, gefährliche Reise auf sich zu nehmen, auf ein besseres Leben zu hoffen und hier dann festzustellen, dass es zuhause doch besser sein kann. Oder wie es sein muss, sich unerwünscht oder unwillkommen zu fühlen, zu merken, an einem Ort keine Zukunft zu haben. Im Gang nebenan suchte eine Frau irgendein bestimmtes Produkt. Ich verstand nur die Antwort der Mitarbeiterin, die “drüben oben neben den Suppen.” herausknurrte, mit dem Kopf hindeutete und weiter Waren einräumte. Ich dachte daran, wie ich gestern auch beim Einkaufen erlebte, wie eine Kassiererin schnaubte und die Augen über einen älteren Mann verdrehte, der sie bat, etwas auf seinem Kassenbon zu prüfen, als würde er fragen, ob sie alleine einen 2 Tonnen schweren Hinkelstein aus dem Weg räumt. Ich musste an den Mann denken, der mich selbstverständlich zum Büro begleitete, auch als ich sagte, ich finde den Weg. Und fragte mich, ob das am kulturellen Hintergrund liegt, an der Erziehung, oder daran, dass er Zeit hatte und die Mitarbeiterin im Supermarkt eben nicht.
Aber: Solange wir bei diesem Wetter warme Socken haben und warme Schuhe, steht es uns nicht zu, unsere Existenz gefährdet zu fürchten. Oder, wie Herr Ruthe das mal wunderschön ausdrückte: Link